Yoga Bitch
kleinere Größe passt«, sagte Rosa.
Das ergab Sinn. Wie oft hatte ich etwas gekauft, aus lauter Dankbarkeit, dass es eine 38 war? (Öfter brauchte ich nämlich inzwischen Größe 40, manchmal sogar 42.) Und bei einem einzigen Label, bei dem mir manchmal sogar Größe 36 passte, kaufe ich öfter ein als bei allen anderen, und das liegt nicht nur daran, dass die Teile besser sitzen. Mode ist immer noch die treibende Kraft hinter dem Wunsch nach einer kleineren Konfektionsgröße. Vanity Sizing ist ein äußerst intelligenter Begriff: Das Abmessen der Eitelkeit.
Die Maße schrieb ich in ein neues Notizbuch, darüber das Datum: 03.11.2009. Darüber schrieb ich: »Projekt Vanity«. Dann erstellte ich eine Liste, denn ich war immer schon ein großer Listen-Fan. Wer Listen schreibt, wähnt sich in Kontrolle. Ich mache sogar Listen über Listen, die ich noch schreiben muss.
Projekt Vanity:
– Zähne
– Gewicht: 17 Pfund verlieren
– Maße
– Falten
– Cellulite
– Erleuchtung ?
Nach gerade mal neun Yoga-Stunden war ich so weit: Ich fing an zu bekehren, ganz unkontrolliert, als ob ich irgendeine Ahnung hätte von dem, was ich sagte, und als ob mich jemand nach meiner Meinung gefragt hätte. Ich tat also genauso das, was mich jahrelang an anderen Yogis genervt hatte. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Eine Kollegin in der Trend-Agentur klagte über Schlaflosigkeit. Ich empfahl Yoga. Eine Nachbarin fasste sich im Treppenhaus an den unteren Rücken, und ich rief ihr im Vorbeigehen zu: »Sie sollten es mit Yoga probieren!« Ich hörte, wie zwei Teenie-Mädchen sich vor mir an der Supermarktkasse darüber unterhielten, »wie isch dieses Schwabbeldings da auf meinem Bauch wegkriege, ey«, drehte mich um und sagte: »Yoga.«
Alev ging es indes ganz anders. Sie hatte ihre erste Stunde gehasst. Sie sagte, sie habe sich seltsam gefühlt, wie ein Freak, der genervt ist und nichts auf die Reihe bekommt.
»Ich falle um, ich kann nicht stehen, meine Hände schwitzen so, dass ich ständig auf der Matte herumrutsche, und jemand erzählt mir in einer sanften Stimme, ich solle durch meine Zehen atmen. Meine Zehen können noch nicht einmal sicherstellen, dass ich nicht umfalle, wie sollen sie denn atmen ?«, schnaufte sie.
Polly schaltete sich ein: »Ja, das ist am Anfang nicht leicht. Du musst einfach noch ein paarmal hingehen, um es beurteilen zu können. Es gibt für jeden die passende Art von Yoga. Es ist unwahrscheinlich, dass man sie gleich in der ersten Stunde findet. Vielleicht solltest du mal in mein Studio kommen …«
»Polly«, sagten Alev und ich gleichzeitig, »lass es!«
Ich sah Alev eindringlich an und sagte mit fester Stimme: »Schau mich an. Ich bin doch auch ein Depp.«
»Eben«, sagte Polly.
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Das macht es nicht besser, dass sogar du es schaffst«, nölte Alev.
»Ich weiß ja gar nicht, ob ich so viel schaffe. Aber ich mag es«, entgegnete ich.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Alev. »Ich meine, ich will es ja mögen. Aber ich hasse dieses Gerede, das so metaphorisch und spirituell daherkommt. Wo soll ich denn bitte Raum schaffen, wenn ich es kaum hinkriege einzuatmen? Sorry, dass ich die Dinge offenbar zu westlich und pragmatisch sehe, aber wer mir weismachen will, dass ich mein Steißbein nach unten ziehen soll, muss mir genau erklären, wie ich das machen soll, ohne Prana-Geplapper. Das verunsichert mich und geht mir auf den Wecker. Und ich denke nicht, dass es das Ziel von Yoga ist, sauer zu werden.«
Doch schließlich versprach sie uns, es noch einmal zu probieren. Bei Alev war nämlich, genau wie bei mir, der erste Muskelkater so schlimm, dass sie ihn als Erfolg und als Hilfeschrei gleichzeitig einsah. Und, wie sie immer wieder betonte: »Ich will nackt gut aussehen. Ach, Tom ist so toll! Ach …«
Währenddessen gab es etwas, das mich beim Yoga zunehmend nervte, und das waren Partnerübungen. Es kam nun regelmäßig vor, dass wir ungefähr nach der Hälfte einer Yoga-Session einen Partner finden und mit ihm oder ihr zusammen eine mir stets peinliche Übung durchführen sollten, bei der wir uns gegenseitig anfassen mussten. Wir sollten dem anderen assistieren, meist indem wir uns mit dem eigenen Gewicht dagegenstemmten oder zogen oder festhielten. Egal, wie die Partnerübung aussah, sie kam nicht ohne Körperkontakt aus, und das störte mich sehr. Ich musste mich auf einen Hintern setzen, ein verschwitztes Shirt oder Beinhaar anfassen, Sohlen aus einer Nähe
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