Yoga Bitch
riechen, die ich so nicht gebucht hatte. Bei einer besonderen Übung sollte mir ein junger Mann um die Hüfte greifen. Was unter gewissen anderen Umständen – wenn wir beispielsweise gewaschen, parfümiert und in einem Cocktail-Kontext gewesen wären – durchaus seinen Reiz hätte haben können, war mir in diesem Raum, den ich bei den Partnerübungen nicht mehr als heilige Halle, sondern als Turnraum mit Schweißgeruch wahrnahm, einfach nur unangenehm. Sobald die Partnerübungen begannen, empfand ich plötzlich das Gegenteil von innerer Ruhe. Ich wollte niemanden anfassen und auch nicht angefasst werden. Ich wollte bei mir bleiben. Das war allerdings nicht möglich, wenn ich gegen einen Stutenhintern drücken musste.
Mir grauste es schon, wenn es hieß: »Sucht euch einen Partner«, denn das erinnerte mich an den Sportunterricht in der Schule, in dem ich grundsätzlich als Letzte in ein Team gewählt wurde. Bei der ersten Ankündigung einer Partnerübung brauchte ich daher so lange, um mich vom Schock zu erholen, dass für mich nur noch der schwitzendste, schwerste Partner übrig blieb. Ich konnte ihn kaum festhalten, und nach der Übung sollte ich ihm auch noch über den unteren Rücken streichen. Das alles war mir zuwider. Bisher hatte ich beim Yoga die Konzentration auf mich selbst ebenso genossen wie die Tatsache, dass ich mich nicht mit den anderen verglich und so wenig wie möglich mit ihnen interagierte. Ich hatte auch keine Gedanken wie:
Ach, die Kleine in dem grünen Top … wie die sich verbiegt. Ist ja gut, wir haben gesehen, wie weit du das Bein nach oben schwingen kannst. Die würde beim Hund doch gerne bellen, damit jeder sieht, wie sie mit den Fersen bis zum Boden kommt.
Nein, solche Gedanken hätte mein ehemaliges Fuck-Yoga-Es gehabt. Das großmütige, gelassene Yoga-Über-Ich dachte das nicht. Doch durch diese schwachsinnigen Partnerübungen wurde ich dem Einklang mit mir selbst entrissen, ich wurde gezwungen, Menschen und ihre körperlichen Unzulänglichkeiten anzusehen, mich mit ihren ungepflegten Füßen oder verschwitzten T-Shirts zu beschäftigen. Dabei kam ich doch hierher, um bei meinem Körper zu sein, nicht bei anderen Körpern.
Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho beschreibt dieses Verlangen als Einsamkeitstechnik, die bei Sportarten wie Yoga, aber auch Joggen oder Shiatsu verbreitet ist. Er bezeichnet sie als »Strategien zur Initiierung und Kultivierung von Selbstwahrnehmungen«. Mit Einsamkeit meint er aber nicht einen unangenehmen Zustand oder gar Langeweile, sondern das Gegenteil: ein bewusstes, selbstgewolltes Mit-sich-Alleinsein. Thomas Macho ist der Meinung, dass wir, wenn wir einsam sind, meist ein Ziel verfolgen und nicht etwas erleiden, dass Einsamkeit auch eine Technik sein kann, nicht nur ein Schicksal, dass Einsamkeit in dieser Hinsicht sogar ein Glück der Verdopplung bedeuten kann, bei dem ich die Gelegenheit habe, mich zu mir selbst zu verhalten.«
Da konnte ich Herrn Macho nur zustimmen und rief Polly an, um herauszufinden, was Partnerübungen beim Yoga für einen Zweck haben und warum man mich unbedingt bei meiner Einsamkeitstechnik stören musste.
»Ach, weißt du, die Frage geht so viel weiter als das, was du meinst«, sagte Polly. Diese Yoga Bitch!
»Was meinst du denn damit?«
»Das, was wir Yoga nennen, hat nichts mit dem ursprünglichen Yoga zu tun. Ursprünglich gab es im Yoga gar keine Partnerübungen, natürlich nicht. Yoga wurde eigentlich von einem Meister an einen Schüler weitergegeben, nicht an eine Gruppe. Und Yoga war eher eine Form der Meditation, die zur Erleuchtung führen sollte. Um lange meditieren zu können, musste aber erst der Körper des Yogi in Form gebracht werden. Es ging um Vereinigung mit dem göttlichen Selbst und um Selbstbeherrschung, nicht um definierte Schenkel. Verstehst du?«
»Hm.«
»Was denn?«
»Ist es schlimm, wenn ich mich zunächst mit den Schenkeln beschäftigen will und erst dann mit der Erleuchtung? Ich meine, Ersteres scheint mir realistischer. Ich brauche schnelle Erfolge. Sorry.«
»Ach, finde ich gar nicht.«
»Also du meinst auch, dass die Partnerübungen total daneben sind?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass die Lehrer denken, sie täten den Leuten damit etwas Gutes. Ich habe letztes Jahr in Kalifornien sogar eine Stunde Acro-Yoga gemacht.«
»Aggro-Yoga?«
»Nein, Acro, mit C. Es war wirklich Quatsch. Da wird behauptet, die – warte mal, wie hieß das noch? – ach ja, die Weisheit des Yoga und
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