Yoga Bitch
Und plötzlich hörte ich mich reden.
»Ich meine, Sie haben leicht reden. Sie haben doch Profis, die Ihnen ermöglichen so auszusehen. Und dann stellen Sie sich hin und erzählen diesen Mädchen, sie sollen keinen Druck verspüren. Sind Sie etwa nicht unter Druck? Wollen Sie uns weismachen, dass Sie im Moment, ach was, seit 20 Jahren nicht auf Diät oder so was Ähnlichem sind?«
Im Raum war es ganz still geworden. Ich hatte überhaupt nicht vorgehabt, das alles zu sagen, aber ihre Verlogenheit machte es mir etwas einfacher.
»Bitte lassen Sie Frau de Chemarn mit ihrem Vortrag weitermachen. Wenn Sie zuhören, erfahren Sie vielleicht, was sie uns erzählen will.«
Ich hörte noch fünf Minuten zu. Es ging ungefähr so: Blablabla Druck blablabla Selbstwertgefühl blablabla Wenn ich morgens aufstehe, sehe ich aber nicht so aus höhö blablabla gesunde Ernährung blablabla harte Arbeit blablabla innere Schönheit …
Dann schlich ich mich aus dem Raum, ging nach draußen und zündete mir eine Zigarette an. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich war, als ich im Alter dieser Mädchen war. Ich glaube, ziemlich ähnlich. Nur hätten meine Eltern sicher nicht mit dem Finger auf »die Gesellschaft« und »die Medien« gezeigt und mich in einem Workshop angemeldet. Ob das besser oder schlechter war, sei dahingestellt. Doch diese ewigen Diskussionen, diese Schwarzmalerei, diese Entrüstung über die »erschreckenden Zahlen« schienen mir leer, unehrlich, von politischer Korrektheit geknechtet. Die Mädchen wollten schön sein, und schlank war eben gleichbedeutend mit schön. Waren die meisten erwachsenen Frauen in der westlichen Welt nicht ganz genauso? Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass die Mädchen mich schockieren würden? Sie waren einfach nur ehrlicher als die meisten erwachsenen Frauen.
Sophie kam ebenfalls heraus und gesellte sich zu mir.
»Das sind ja gar keine echten Essgestörten«, sagte sie enttäuscht.
»Hab ich dir doch gesagt.«
»Wollen wir gehen?«, fragte sie. Wir fühlten uns ein bisschen wie in der Schule, mit dem Unterschied, dass wir jetzt abhauen konnten, wenn es uns nicht mehr gefiel. Haha! Das Alter hat eben auch seine Vorteile.
»Hm, ich weiß nicht. Ich will noch unbedingt von der de Chemarn wissen, wo sie in München Yoga macht«, sagte ich.
»Aber danach können wir dann gehen?«, fragte Sophie.
»Klar.«
»Gut. Warte hier auf mich.«
Sie kam 15 Minuten später heraus und sagte: »Komm, schnell weg. Die kommen gleich alle raus.«
Wir hielten ein Taxi an und sprangen hinein.
»Gott, ich komme mir so schlecht vor«, sagte ich.
»Musst du nicht. Ich hab Frau Meyer erzählt, dir geht es schlecht und wir müssten jetzt gehen.«
»Und hat sie es dir abgenommen?«
»Natürlich nicht. Aber ist doch egal. Übrigens war der Vortrag gar nicht mal so schlecht. Die de Chemarn hat Bilder von sich gezeigt, auf denen sie ungeschminkt war. Horror! Aber ich hab’ ihr sofort angesehen, dass sie eine Essstörung hat.«
»Und ich hab’ ihr sofort angesehen, dass sie Yoga macht. Hast du jetzt rausgefunden, wo?«
»Sie meinte, wir sollen ihre Yoga-DVD kaufen und dass sie die Unverschämtheit, sie noch einmal anzusprechen, fast schon wieder gut findet. Aber verraten hat sie’s mir trotzdem nicht.«
»Oh Mann. Du hast’s versprochen …«
»Ganz ruhig, du Shanti-Junkie. Mir fiel dann ein, dass die Schwester einer Freundin meiner Mutter mit der de Chemarn befreundet ist. In zwei Stunden hast du den Namen des Yoga-Studios.«
Und so war es auch. Münchner behaupten immer, ihre Stadt sei ein Dorf, und dies bestätigte sich wieder einmal, denn es war dasselbe Studio, in dem Uschi, die mit dem Traumbaddy , ihren Hund und Baum machte. Da würde ich also morgen hingehen. Während ich mental schon mein Yoga-Outfit zusammenstellte – das hier war schließlich München – dachte ich über den Workshop nach. Eigentlich war ich nichts weiter als eine 20 Jahre ältere, noch abgefucktere Version dieser Mädchen, über die ich so gar nicht empört sein wollte, wie es von mir wohl erwartet wurde.
10
»Yoga in Mayfair oder auf der Fifth Avenue …
ist ein spiritueller Fake.«
Carl Gustav Jung
Das Studio in München war elegant und minimalistisch: Teakholz im Eingangsbereich, Orchideen, eine sehr teure Duftkerze flackerte, stasigrau lackierte Wände. Ich hatte mir neue, wirklich ziemlich teure Yoga-Klamotten gekauft, deren Kaufpreis sich schon an der Rezeption amortisiert hatte, denn so konnte ich dem
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