Yoga Bitch
nirodhah heißt »zur Ruhe bringen, aufhören«.)
Yoga bringt die Gedanken im Geist zur Ruhe.
Das war für mich besonders wichtig, denn ich litt an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), das vor ein paar Jahren diagnostiziert worden war. Mir wurden mehrere Male amphetaminbasierte Medikamente wie Ritalin oder Adderall verschrieben, die auf mich nicht anregend, sondern beruhigend wirkten. Und wie sie wirkten: Ich wurde wesentlich strukturierter, konnte mich länger als 15 Sekunden am Stück konzentrieren und als eine der besten Nebenwirkungen aller Zeiten nahm ich drastisch ab, weil ich höchstens einmal in zwei Tagen Hunger verspürte. Doch ich war auch seltsam leer, immer angespannt, hatte auch nachts das Bedürfnis zu arbeiten und konnte nicht schlafen. Also setzte ich die Tabletten ab. Ein Arzt empfahl mir sogar Yoga, doch ich war in meiner Fuck-Yoga-Phase und lachte ihn aus. Hätte ich es nur früher gewusst: Yogash chitta-vritti nirodhah.
Yoga war mein neues Amphetamin, und das ganz ohne Nebenwirkung.
*
Am nächsten Tag rief ich meine Tante Ida an, die mir an meinem 18. Geburtstag gesagt hatte: »Wenn du dein Erbe früher haben willst, sag es ruhig. Ich muss ja nicht mit meinem dicken Hintern draufsitzen. Aber es gibt eine Bedingung dafür.«
»Ja, bitte, liebe Tante?«
»Du brauchst einen guten Grund.«
»Was ist denn ein guter Grund?«, hatte ich damals gefragt.
»Einer, mit dem ich eben einverstanden bin«, hatte Tante Ida geantwortet.
Nun war es also so weit. Ich erklärte mein Vorhaben so sachlich wie möglich und musste hoffen, dass Tante Ida meinen Grund für gut befinden würde.
»Und wie viel brauchst du?«, fragte sie.
»10.000. Nein, 12.«
»Oha.«
»Wie findest du den Grund?«, fragte ich.
»Gut genug. Nächsten Dienstag hast du das Geld auf deinem Konto. Ach ja, eine Bedingung habe ich.«
»Ja?«
»Nur non-invasive Sachen. Sind wir uns einig?«
»Na klar! Danke, Tante Ida. Und noch eine Bitte …«
»Ich soll wohl deiner Mutter nichts sagen? Geht in Ordnung.«
Verdammt, sie war echt gut. Doch es kam noch besser. Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. Es war meine Mutter. Diese Hexe! Ich lenkte sie mit Yoga-Gejammer ab, um mich nicht zu verplappern.
»Sag mal, ich bin im Moment ein bisschen verloren, weil mich das eine Yoga-Studio nervt, und ein neues zu besuchen ist immer so eine Überwindung und …«
»Ach Gott, wenn ich das schon höre! Ihr habt es ja alle so gut heute. Weißt du, wie das war, als ich anfing?«, fragte sie.
Normalerweise würde mich eine Kind-weißt-du-wie-schwer-wir’s-früher-hatten-Geschichte meiner Mutter, ausgeschmückt mit Entbehrungen und der obligatorischen Beobachtung, wie gut wir es ja heute haben, abturnen. Doch ich wollte diesmal wirklich wissen, wie es früher war, also unterbrach ich sie nicht.
»Yoga-Studios sind ja heute mehr wie Fitnessstudios. Früher war das anders, das waren richtige Hippies und Ökos, aber nicht die schicken Ökos in ihren weißen Hosen, keine Bio-Celebrities, sondern richtige fundamentalistische Ökos, die Naturdeos benutzten, so ein Volk war das. Das hat mich, wie sagt man, abgeturnt?«
»Ja, Mama. Abgeturnt.«
»Da haben sehr viele Leute gestunken. Und gestöhnt haben die, als wollten sie alles rauslassen! Als ich dann vor zehn Jahren in das ers-te schicke Studio kam, konnte ich’s nicht glauben. Die Leute hatten sich die Haare gewaschen. Und geföhnt. Und hatten gewachste Achseln!«, rief sie.
»Und was findest du jetzt besser?«
»Ach, mir geht es da wie dir, mir geht es immer um den Lehrer. Und das ist etwas ganz Persönliches. Ein Lehrer kann für deine Freundin gut sein, aber wenn dich die Stimme nervt, hat er bei dir schon verloren. Yoga-Lehrer sind heutzutage wie Friseure: Manche sind in, andere sind out, jedenfalls sucht man sein ganzes Leben nach dem einen, wahren, perfekten. Ich gehe für meine Lehrerin heute überallhin, da ist mir das Studio auch egal.«
»Du meinst also, ich soll ruhig alles ausprobieren?«
»Klar! Schau nur, dass du dich nicht zu sehr vom Drumherum beeinflussen lässt. Du, sag’ mal ...«
Aha. Die Stimmlage kannte ich. Jetzt würde sie fragen, ob ich einen Freund hätte. Ob ich mich nicht langsam binden wolle. Vielleicht würde sie sogar auf Kinder und Familie zu sprechen kommen? Mal sehen.
»Sag’ mal Schätzchen, was macht eigentlich die Liebe? Du weißt, als ich deinen Vater kennenlernte …«
Obwohl ich die Frage antizipieren konnte, konnte ich mich
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