Yoga Bitch
Wochentag aus und wunderte mich mal wieder, wie viele Berliner vormittags unter der Woche Zeit hatten. Im Gegensatz zu YoYo-Yoga waren hier ausschließlich jüngere Leute (also das, was ich inzwischen unter jünger verstehe, bis Anfang 40 eben.) Und: Die Mehrzahl waren Männer! Das war ja interessant.
Die Lehrerin, der Polly assistierte, hieß Tanja und war eine seltsam gelungene Mischung aus Strenge und Intuition. Die Strenge war in ihrer Stimme: »Hört genau hin!«, sagte sie. »Ich habe nicht gesagt, Arme hoch! Ich habe gesagt, Arme neben den Körper.« Sie schien fast beleidigt, dass ich und der hübsche Hippiejunge neben mir es falsch gemacht hatten, aber das war die Schwierigkeit bei Vinyasa: Der Flow war manchmal zu flüssig und man kam nicht mit. Oder man verließ sich, vor allem beim Sonnengruß, auf die Bewegungsabläufe der letzten Minuten. Wir jedenfalls hatten die Arme unten und aus- statt eingeatmet und das Mula Bandha (Wurzelverschluss, also eine Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur) schon gar nicht gesetzt. Kurz darauf hing ich keuchend im Trikonasana (Dreieck), war frustriert und konnte nicht mehr, doch Tanja pushte uns weiter und wollte uns nicht aus dem Asana lassen. Ich hing im Dreieck, wollte da raus und wurde wütend. Ach, es war doch zum …
»Ich weiß ganz genau, wie du dich fühlst«, sagte sie und schwieg dann ein paar Sekunden. »Es tut jetzt langsam weh und du willst aus dem Asana raus.«
Ja. Genau. Erlöse uns endlich. Wie lang denn noch …
»Mula Bandha setzen. Atmen! Halten! Jetzt ist sicherlich der Zeitpunkt, an dem manche von euch beginnen innerlich zu fluchen. Jetzt werdet ihr wütend. Seid ruhig wütend. Und dann versucht mal durchzuhalten und guckt, was passiert, wenn ihr nicht wütend werdet.«
Ach so. Wow, das ging voll an mich. Na dann. Ich konnte es noch ein bisschen halten. Es wirkte tatsächlich.
In den Schulterstand zu gehen machte mich immer sehr froh, denn es bedeutete das baldige Ende der Stunde, und noch lieber als Yoga mochte ich Post-Yoga. Außerdem liebte ich es, umgedreht auf den Schultern zu stehen. Tanja kam zu uns allen und klopfte uns auf die Füße – keine Ahnung, was das sollte –, und ich überlegte währenddessen, ob es wohl Tanja gewesen war, die Polly in den Bann gezogen hatte. Als wir uns dann langsam Wirbel für Wirbel abrollen sollten – was bei mir nie klappte, denn dazu benötigte man funktionsfähige Bauchmuskulatur – rollte ich schnell nach unten, so wie auch einige um mich herum, unter anderem eine Frau hinten links, die den besagten Vurz ließ. Und hier konnten Polly und ich unsere Freundschaft nicht mehr verheimlichen. Bis dahin hatte ich sie nicht angelächelt und sonstigen Augenkontakt vermieden, denn ich wollte ja nicht wie des Lehrers Liebling rüberkommen. Alle ignorierten den Vurz, doch ich musste kichern. Nicht laut – eher so in mich hinein –,
aber es war trotzdem fatal, denn mein Lachen hatte immer schon eine ansteckende Wirkung auf Polly gehabt. Die Stunde verwandelte sich kurz in Lach-Yoga, und der süße Hippie neben mir grunzte auch ein-, zweimal mit. Die arme Polly! Es ist schon schlimm genug, als Schüler loszulachen, aber als angehender Lehrer muss es furchtbar sein. Sie kriegte schließlich die Kurve, indem sie so tat, als ob sie auf Toilette müsste. Dieser Trick ist beim Yoga echt Gold wert.
»Tut mir so leid«, sagte ich leise nach der Stunde und verschwand schnell, denn ich wollte unbedingt vermeiden, dass wir zusammen noch einen Lachanfall bekamen. Dafür rief ich sie von der nächsten Straßenecke aus an, um mich zu entschuldigen.
»Ach was. Mit so was muss ich zurechtkommen. Das wird immer wieder passieren.«
»Du machst das ganz toll, Polly«, sagte ich. »Du wirst eine richtig gute Yoga-Lehrerin.«
»Echt?«
»Ja. Und deine Stimme nervt gar nicht.«
»Juhu! Du bist die Erste, die mir dieses Kompliment macht.«
Zwei Minuten später bekam ich eine SMS von ihr.
Besser ist es in der Tat, in dieser Welt Almosen zu empfangen, als den edelsten Lehrer niederzustrecken. Bhagavad Gita, Kap. 2, Vers 5–6. Haha!
*
Es war die Woche vor dem Fasten, und ich wurde mit Arbeit nur so zugemüllt.
»Sie wissen schon, dass ich nächste Woche fasten gehe?«, fragte ich die Chefin.
»Fasten? Wieso? Wer hat das genehmigt?« Mann, war die schlecht drauf. Beinahe wollte ich ihr Yoga empfehlen, doch ich hielt lieber meinen Mund. Sie hatte eben diese typische Chefs-in-kreativen-Berufen-Klatsche, die sich als großes
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