Yoga Bitch
schwarzes Loch anstelle eines Gedächtnisses manifestierte und auf seltsame, willkürliche Weise funktionierte. Zuerst was gaaaaanz Verrücktes anordnen, wofür man sich ein Bein ausreißt, und wenn es so weit ist, »Wer hat das genehmigt?« schreien. Nun hieß es vorsichtig agieren: Ein zu frecher Ton, und sie konnte alles canceln.
»Naja, es war Ihre Idee. Ein super Ansatz, finde ich. Sie haben gesagt, wir machen nicht nur Marktforschung, sondern Marktfühlung. Wie füüüühlt sich Detox an?«, log ich.
»Ja, stimmt, das habe ich gesagt«, bestätigte sie und verharrte eine Sekunde, in ihre eigene Idee verliebt. »Das ist ein wichtiger Ansatz.«
Klar, wenn etwas angesagt war, dann war es füüüühlen . Wir lebten eben in Zeiten, die nach Instinkt lechzten. Ach, wie Kinder wollen wir sein, die über Zäune in Nachbars Garten klettern, um unbehandelte Kirschen und Äpfel zu klauen!
»Ach ja«, grummelte die Chefin gedankenverloren. »Was wiegen Sie denn jetzt eigentlich?«
»Ich sage Ihnen dann lieber, wie viel ich abgenommen habe«, sagte ich und verließ ihr weißes Zimmer, in dem sie in ihrer schwarzen Kleidung und den roten Haaren wie eine Illustration aussah, fast geräuschlos.
Wahrscheinlich war es sogar ganz gut, dass ich vor dem Fasten so viel arbeiten musste und nicht viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, dass ich bald für sieben Tage nichts mehr zu essen bekommen würde. Immer, wenn mich dieser Gedanke in Panik versetzte, las ich etwas über die positiven Effekte … die Ruhe … innere … Mitte … Verzicht … und Gewichtsverlust! Na also. Außerdem: Jetzt durfte ich ja noch essen. Alle Ratgeber empfehlen übrigens, dass man sich in der Vor-Fastenzeit bloß nicht überfressen soll – und das versuchte ich einzuhalten. Außerdem war es bei mir so: Je mehr ich arbeitete, umso weniger aß ich.
Die Chefin hatte mir nämlich aufgetragen, mir für die Studie zusätzlich Gedanken über den Aspekt kulturspezifischer Schönheitsideale zu machen. Ich stürzte mich darauf, aus professionellem und persönlichem Interesse gleichermaßen. Vielleicht konnte ich ja etwas für mein Projekt lernen. Vielleicht war mein Grad der Besessenheit, den viele hierzulande wohl als außergewöhnlich ansehen, woanders die Norm?
Eine groß angelegte ethnografische Studie aus dem Jahr 1992 beobachtete 62 Kulturkreise und fand heraus, dass in knapp der Hälfte dieser Kulturen dicke Frauen als attraktiv gelten, bei einem Drittel mittlere Gewichtsklassen und nur bei einem Fünftel dünne Figuren bevorzugt werden. Dabei lässt sich feststellen, dass die Versorgungslage mit Lebensmitteln bestimmt, welche Art von Figur als schön und begehrenswert angesehen wird. Man will natürlich das, was schwieriger zu bekommen ist, denn das liegt nun mal in der menschlichen Natur. Wo es nicht genug zu essen gibt und die Versorgungslage unsicher ist, wird Fett zum Statussymbol. Umgekehrt ist in Zeiten des Überflusses ein schlanker Körper ein begehrtes Gut, Personal Trainer, Fettabsaugungen, persönliche Köche, Ernährungsberater und Disziplin gelten als Statussymbole. (Ich dachte daran, wie festgefahren wir doch in unserer Vorstellung von Schönheit waren. In Jamaika, wo ich ein paarmal gewesen war, empfand ich den dort üblichen Ausruf fat girl zunächst als Beleidigung. Tatsächlich war es aber als Kompliment gedacht und schon gar nicht an mich gerichtet gewesen, denn mir wurde in Jamaika immer geraten, mehr zu essen, am besten fette Sachen, weil ich ja so klapperdürr sei. Ach, ich liebe Jamaika.)
Ethnologischen Untersuchungen zufolge spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle, vor allem die Stellung der Frau: Je mehr Macht Frauen haben, desto schlanker bevorzugen die Männer sie.
An der Ich-will-das-was-ich-nicht-haben-kann-Macke litt ich, seit ich denken kann. Ich wollte als Kind Locken haben und habe meine Mutter fast dazu gebracht, mir eine Dauerwelle machen zu lassen, während meine Prinz-Ludwig-gelockte Kindergartenfreundin sich ihre Haare verbrannte, weil sie versuchte, sie zu glätten – mit einem Bügeleisen. Als ich in eine Körbchengröße C hineinwuchs, wünschte ich mir kleinere Brüste, weil sich damit einfach ganz andere Kleidung tragen lässt. (Schlabberklamotten sind ab Körbchengröße B verboten. Man braucht etwas, das die Silhouette betont, sonst sieht man nach fünftem Monat aus.) Währenddessen beneideten mich die meisten meiner A-Körbchen-Freundinnen. Dieser menschliche Instinkt lässt sich auf ganze
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