Yoga Bitch
Zentimeter? Spinnst du?«
»Los. Wir messen nach. Das ist wichtig.«
Wir maßen nach, denn Rosa duldete keine Widerrede. Es waren 6,5 Zentimeter.
»Nein, das ist gut. Freu dich doch. Es gibt da eine ganz tolle, neue Methode, für die man aber mindestens drei Zentimeter Fett braucht, sonst lässt sie sich nicht mehr sicher durchführen. Also, das sagen die guten Ärzte. Die schlechten machen dir alles.«
»Erzähl’ ein bisschen mehr über Argentinien.«
»Die älteren Frauen sehen manchmal schlimm aus, weil es in den 90er-Jahren ein Statussymbol war, ›gemacht‹ auszusehen. Heute ist es so geläufig, dass man es eher nicht zugibt und keine Frau erzählt der besten Freundin, zu welchem Arzt sie geht. Ach, übrigens machen es wirklich alle: Du siehst Mädchen mit Dreadlocks und Nasenpiercing und mit falschen Brüsten. Keine Riesenmelonen, sondern eher kleinere Möpse, aber eben falsche. Dann gibt es die ganzen Chihuahuas, die stolz ihre OP-Pflaster auf der Nase tragen, ganz normal. Und zu den Docs, die non-invasive Sachen machen, gehen wirklich alle: Buchhalterinnen, Rechtsanwaltsgehilfinnen, Beamtinnen.«
»Woher kommt das, meinst du, diese … Hingabe?«
»Na ja, sie sind sehr eitel. Ich würde mal tippen eine 8 auf einer Skala von 1 bis 10.«
»Wer ist denn eine 10?«
»Brasilianerinnen, eindeutig. Übrigens: In Südamerika wird der 15. Geburtstag eines Mädchens riesig gefeiert. Man nennt ihn Cumpleaños de Quince . Es ist nach der Hochzeit das zweitgrößte Fest im Leben einer Frau, und die Mädchen tragen alle wahnsinnig kitschige Sissi-mäßige Brautkleider und bekommen ganz viele Geschenke. Na ja, zumindest in Venezuela, Kolumbien und Argentinien bekommen nun immer mehr Mädchen keinen Trip nach Disneyland, sondern eine Schönheits-OP geschenkt.«
»Oh Gott. Sag mal, und wie ist es da mit Yoga?«
»Kaum, die machen alle Pilates oder steigen aufs Power Plate.«
»Wieso denkst du, dass die sich da so viel mehr reinsteigern als Europäerinnen?«
»Weil sie provokanter sind.«
»Also hat es mit Männern zu tun?«
»Nein, eher mit ihnen selbst und dem Konkurrenzdenken zu anderen Frauen. Und damit, dass 90-60-90 so in den Köpfen eingebrannt ist. Die wollen das mit aller Macht, sonst fühlen sie sich irgendwie unvollständig. Die sind schon extrem besessen davon. Übrigens ist ihnen der Körper wichtiger als das Gesicht.«
»Echt?«
Rosa überlegte kurz und sagte dann: »Nein, nicht ganz. Bis 40 ist der Körper wichtiger. Danach das Gesicht.«
»Und wie war es in Miami?«, fragte ich.
»Weißt du, wenn Menschen so viel Zeit am Strand und in Bikinis und kurzen Hosen verbringen, ist es wahrscheinlich normal, dass sie sich mehr mit ihrem Körper beschäftigen. Ist ja in Deutschland nicht anders, sobald sich der Sommer ankündigt, flippen auch alle aus. In Miami ist halt das ganze Jahr über Bikiniwetter. Trotzdem übertreiben die’s.«
»Wieso das?«
»Zu braun, zu weiße Zähne, zu große Möpse, die nicht zum Rest des Körpers passen, und dann diese schlechten Extensions überall! Denen fehlt die europäische Raffinesse. Insofern hast du den perfekten Plan.«
Ja, den hatte ich jetzt, dank Rosas fabelhafter Hilfe. Jetzt ging es nur noch um die Ausführung.
13
»Jeder kann zaubern,
jeder kann seine Ziele erreichen,
wenn er denken kann, wenn er warten kann,
wenn er fasten kann.«
Hermann Hesse, Siddhartha
Jeder, der zum Fasten aufbricht, ist teils verrückt, teils stolz, teils ängstlich und meistens hungrig. Ich machte mich genau so auf den Weg in den Schwarzwald, nach zwei Entlastungstagen (Obst, Reis, Wasser), die ich bis auf ein XXL-Snickers und einen Wodka-Tonic ziemlich rigoros eingehalten hatte. Jeder Fastenratgeber versichert einem, dass die Kraft, die man für die Tage ohne feste Nahrung braucht, in einem stecke, dass man genügend Energie in sich trage und dass man sich vorher, auf gut Deutsch, bloß nicht panisch vollfressen sollte. Ich war angespannt und ängstlich: Wie würde es werden? Wie hungrig würde ich sein? Würde ich durchhalten? Wie könnte ich mich in Drei Teufels Namen körperlich betätigen, ohne dass mein Körper vorher Stoff bekommen hatte? (Mein Körper war eine Bitch, die am besten nach dem Belohungsprinzip funktionierte, das wusste ich inzwischen.) Würde ich Höllenqualen leiden? Nachts die Wände hochgehen und frühmorgens eine unschuldige Bäckerin überfallen? Warum tat ich mir das … ah ja. Ich wurde dann wieder euphorisch, dass ich es durchzog, dass ich
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