Yoga Bitch
»Wir gewinnen an seelischer Harmonie. Unsere Wahrnehmung wird gefördert. Die Le-benscherwaddung, und des isch bewiesen, wird erhöht, der Alderungsprozess verzögert. Isch hab Gäschde, die ein paar Monate nach dem Faschten keine Migräne mehr haben. Wir kommen wieder an die Kraft, die in jedem von uns steckt!«
Walter ist wirklich ekelhaft enthusiastisch und sehr nett. Er erklärt uns weiter, dass der Hunger, den wir verspüren, auch daher kommen könne, dass der Darm nicht leer sei, denn nur ein leerer Darm bedeute kein Hungergefühl und schütze vor Kopfschmerzen und Müdigkeit, die während des Fastens üblich sind. Also – und hier lässt Walters Enthusiasmus kein Stückchen nach – würden wir jetzt alle den Darm leeren, mit Glaubersalz. Wir bekommen jeder einen halben Liter Wasser mit darin aufgelöstem Glaubersalz. Ich versuche es in einem Rutsch auszutrinken und muss fast würgen, so bitter und ekelhaft schmeckt es.
Es funktioniert sofort. Ich verbringe den Rest des Tages zwischen Bett und Toilette. Ja, der Darm dürfte jetzt geleert sein.
Ich beteilige mich weder am Wandern noch am Yoga. Nein danke, ich finde meine innere Ruhe in meinem Zimmer, bei Kochsendungen.
Am Abend fängt mich Beat an der Tee-Bar ab und überredet mich zu einer Partie Scrabble. Ich merke, dass ich langsamer denken kann als sonst und fluche, denn ich denke gerne schnell.
»Macht nichts, das ist normal. Aber nach zwei Wochen Fasten kommst
du auf Gedanken, die sind besser als ein LSD-Trip«, kichert Beat. Dieser alte Hippie.
Dann kommen wir darauf, für Wörter, die Lebensmittel bezeichnen, die doppelte Punktzahl zu vergeben. Ich buchstabiere Pommes und Pavlova. Dabei denke ich alle zwei Minuten »Mmmmmmh« in Homer-Simpson-Stimme.
Nach dem Scrabble erzählt mir Beat von seiner Caveman-Diät, die er Anfang des Jahres gemacht habe.
»Was soll das denn sein?«, frage ich und freue mich auf die Lebensmittel, die er aufzählen wird.
»Du, das machen vor allem in New York ganz viele. Man verhält sich wie ein Höhlenmensch, läuft barfuß, fastet einen Tag und isst dann eine große Mahlzeit, manchmal sogar rohes Fleisch.«
Mmmmh, rohes Fleisch.
Ich sehe Beat an: Seine Haut ist ledern, seine Augen sind sehr hell und blau, er ist ganz sehnig und fit und schafft sicher 500 Liegestütze. Ich traue mich nicht, ihn zu fragen, wie alt er ist, denn er würde mich raten lassen, und dann wäre ich verloren. Er könnte 60 sein oder 80. So alt wäre ein Höhlenmensch trotz seiner Diät kaum geworden, aber das sage ich ihm natürlich nicht.
Vor dem Schlafengehen trinke ich nicht mehr so viel, damit ich in der Nacht nicht ständig aufstehen muss. Nachts träume ich von meinem Badezimmer in Berlin. Es ist mit Schinken-Käse-Toasts gefliest, und aus meiner Bodylotionflasche kommt praktischerweise Ketchup.
Tag 3
Heute versuche ich um 6:45 (!) den Kneippguss zum ersten und – wie ich gleich feststelle – auch zum letzten Mal. Gaby spritzt mich aus einem Schlauch mit eiskaltem Wasser ab und ich erleide fast einen Herzstillstand. Wenigstens bin ich wach genug, mich zum Yoga zu begeben, von dem ich automatisch angenommen hatte, es wäre dieselbe Art, die ich in Berlin übe: dynamisch und anstrengend, doch mit einem Schuss Meditation und Chanting. Stattdessen machen wir ganz sanftes Hausfrauen-Yoga. Ich finde es großartig und wundere mich, woher ich die Kraft dafür nehme, nach 64 Stunden ohne feste Nahrung. Entspannend, nicht sonderlich anstrengend und doch beruhigend, denn die Asanas kenne ich schon – wenigstens eine Sache in dieser Fastenwoche, die mir bekannt vorkommt. Die Lehrerin ist eine Mittfünfzigerin und sehr mitfühlend. Sie erklärt, dass Yoga die ideale Unterstützung fürs Fasten sei, da die Umkehrhaltungen, das Dehnen, Strecken und Atmen das Lymphsystem anregen und den Entgiftungsprozess unterstützen würden. Das Wort »Entgiftung« kann ich bald nicht mehr hören. Doch am Ende der Stunde fühle ich mich wirklich entspannt und denke zum ersten Mal nicht über Essen nach. Yoga ist mein Freund.
Das Mittagessen ist der Höhepunkt des Tages, weil es etwas Warmes zum Schlürfen gibt. Es gibt Suppe, wobei diese in ihrer minimalis-tischsten Form serviert wird: Gemüse wird in einem Topf mit Wasser gekocht, anschließend nur der Sud serviert. Ich schmecke alles heraus – die Karotten, den Sellerie, die Kräuter. Ich brauche eine halbe Stunde, um den Teller leer zu essen.
Danach wird uns erklärt, wie der Einlauf gemacht wird,
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