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Yolo

Yolo

Titel: Yolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Sie Schach?«
    »Schon, aber nicht gut.«
    »Wir könnten die Partie zusammen zu Ende spielen …«
    Feigenblatts Gesicht wird lebendiger.
    »Wenn Sie meinen. Gut. Ich bin Felizitas.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Und Sie sind Gabriel, und Ihr Bruder ist Martin, nicht wahr? Wir sind uns doch alle drei neulich im Entrée begegnet.«
    Ich soll Schwarz übernehmen und den nächsten Zug machen. Bei meinen geringen Kenntnissen ist es äußerst schwierig, inmitten eines Spiels einzusteigen. Als ich nach langem Nachdenken zum Springer greife, hält Gabriel mich zurück: »Nein! So setze ich Sie im übernächsten Zug Matt! Vielleicht übernehmen Sie doch lieber Weiß …«
    Wir wechseln den Platz.
    Im Verlauf der Partie wechseln wir noch ein paar Mal die Seiten, gehen dabei zum Du über. Gabriel lenkt das Spiel so, dass es in einem Patt endet.
    Bevor im Speisesaal jeder in seine Richtung geht, hält mich der Schachmeister zurück: »Danke.«
    »Ich habe doch zu danken! Übrigens, hätten Sie nicht Lust, bei unseren Walkingstunden im Park mitzumachen? Wir sind eine nette kleine Gruppe.«
    »Ich? Oh nein. Danke, nein.«
    »Schade. Guten Appetit.«
    »Wie bitte? Ach ja, Ihnen auch!«
    Ich traue meinen Augen nicht: An der Seite des Physiotherapeuten kommt Gabriel daher!
    Jutta fehlt, ich bin die Einzige, die ohne Stöcke walkt, und dann soll ich mich erst noch vorne einreihen, direkt hinter Jean-Claude. Wir ziehen los, in meinem Rücken Ernst mit dem aufgedunsenen Bauch, ihm folgt der hagere Charly, das Schlusslicht macht Gabriel. Äußerlich wirkt er kerngesund, in seinem Sportdress gar attraktiv. Doch während unserer Verschnaufpausen sagt er kein Wort, reagiert nicht einmal auf Charly, der ihn mit einem Kompliment aufmuntern will: »He du«, sagt er, »das machst du heute aber nicht zum ersten Mal, so fit, wie du bist.«
    Keine Mütter mit Kinderwagen, keine Spielwiese, keine Liebespaare, keine Radfahrer, keine Hunde und keine Leute, die sich mit ihren Plastiksäckchen zum Kot der Vierbeiner bücken – dieser Park gehört ganz uns. Uns, den Schutzbedürftigen, dem Alltag Entflohenen, die im geschützten Rahmen ihre Seelen gesund walken. Und wie wird die maßlos dicke Patientin ihre Seele heilen? Sie sitzt apathisch auf einer Bank, und als ob es der Anstand verlangte, sieht jeder von uns weg. Gestern hat sie mich im Foyer gefragt, ob ich sie über dieses
Spital
etwas informieren könne, da sie gerade erst
eingeliefert
worden sei. Trotz ihrer stählernen Bodenhaftung wirkte sie schwach und verletzlich,
eingeliefert
eben – und Fremden ausgeliefert! Hoffentlich nicht meinem hochmütigen Psychiater. Ich erklärte ihr, eigentlich sei es falsch, zu dem Ort hier Spital zu sagen. Es sei eher ein Kurhaus, eine Residenz, ein Resort …
    Und wenn wir wieder heimkehren, erinnern wir uns an ein
Hotel
.
    Oh je! Ernst ist über seinen Stock gestolpert, glücklicherweise auf seinen runden Bauch. Dennoch dreht er sich stöhnend auf den Rücken. »He, he«, spottet Charly, »mach nicht auf Maikäfer!« Jean-Claude beugt sich besorgt nieder.
    Als Kind ließ ich einen Maikäfer zappelnd auf dem Rücken liegen, um herauszubekommen, ob er alleine wieder auf die Beine kommen würde. Nach einer Weile sah ich nach ihm, da war er zerquetscht. Unser Briefträger hatte ihn wohl übersehen. Wegen eines Maikäfers weint man nicht, schalt mich meine Mutter. Als sie uns kurz später für immer verließ, bestrafte ich sie, indem ich versuchte, nicht zu weinen …
    Ernst rappelt sich auf. »Es kann weiter gehen«, sagt Jean-Claude, »und los!«
    »Hauen wir ab?!«
    Jutta sitzt wieder im Schneidersitz auf der Bank am See, sie sieht mich spitzbübisch an und wirkt kräftiger als gestern Nacht. Doch beim Spazieren sehe ich, wie mager sie ist. Hose und Bluse schlabbern über ihrem ausgezehrten Körper, nicht einmal die hübsche Perücke lenkt vom Bild einer todkranken jungen Frau ab.
    »Ich habe es dir schon gesagt: Wenn du möchtest, kannst du meinen Wagen haben. Fahre damit ans Meer, oder wo immer du hin willst.«
    »Und du?«
    »Nun …«
    »Was
nun?!«
    »Nun, ich weiß nicht.«
    »Herrgottnochmal, rück schon raus!«
    »Mir ist durch den Kopf gegangen, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn ich am Wochenende zu Christian gehen und wir ein bisschen Zeit zusammen verbringen würden. Aber das würde heißen, dass du mich dann vor deiner Weiterreise ins Irgendwo bei Christian absetzen würdest, das wäre quasi auf deinem Weg, drei, vier Stunden von

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