You are Mine
verraten, egal wie oft ich sie in den nächsten Tagen und Wochen fragte, anjaulte oder anschrie. Schließlich vergaß ich es. Na ja, ich gab wohl eher auf, da ich mich heute noch daran erinnere. Grausam? Ja, aber weit über das hinaus. Es war weit mehr als kindliche Sturheit oder Spiel, diese Entschlossenheit, nichts zu sagen – ihre Macht, eine Handlung in die Unendlichkeit auszubreiten.
Nie, nie etwas sagen.
»Weißt du, warum ich hier ausgezogen bin?«, fragt Ruth.
»Eigentlich nicht«, gebe ich zu. »Madigan hat nicht viel erzählt, nur dass sie sich etwas von dir ausgeliehen hat. In dein Zimmer gegangen ist, ohne zu fragen, und du wütend wurdest. Ich glaube, sie hat es als ›Zickenterror‹ bezeichnet.«
»Oh, wirklich?«
»Ich wusste immer, dass mehr an der Sache dran war«, füge ich schnell hinzu.
»Allerdings war mehr an der Sache dran.« Ruth ist immer noch wütend, aber jetzt ist es eine ruhigere Form von Wut. »Sie hat mein Tagebuch gelesen, Alex, mein persönliches Tagebuch. Ich kam nach Hause, und da lag sie auf meinem Bett, mit einem dieser jämmerlichen Kinder neben sich, und las es ihm vor. Und sie haben gelacht. Beide haben gelacht wie die Hyänen.«
Keine Entschuldigung, nicht mal ein Hauch von gespielter Reue, nur ein Achselzucken. Madigan war gelangweilt gewesen und hatte nicht erwartet, dass Ruth so früh nach Hause kam, aber hey, was für eine schöne Überraschung. Und noch schlimmer, sollte das überhaupt noch möglich sein, sie schien Ruth ihre Reaktion übel zu nehmen, ihr die Tatsache zu verübeln, dass jemand es wagte, Madigan vor einer der Marionetten anzuschreien. Das Tagebuch landete auf dem Boden und die beiden stiefelten mit hocherhobenen Köpfen aus dem Raum.
»Du hättest es mir sagen sollen, Ruth. Hätte ich es gewusst, dann …«
»Dann was? Hättest du sie rausgeworfen?«
Auf diese Frage kann ich nichts sagen, nichts, das nicht in unser beider Ohren hohl klänge.
»Das habe ich mir gedacht«, sagt Ruth. »Ich war mit dir befreundet. Ich hoffe, das sind wir immer noch. Aber ich wollte nicht mit ihr in diesem Haus bleiben, und ich wollte dich mit Sicherheit nicht dazu zwingen, dich zwischen uns zu entscheiden, also bin ich abgehauen. Und es tut mir wirklich leid, dass ich dich so im Stich gelassen habe. Mir war nicht klar, wie weit sie tatsächlich gehen würde.«
»Es ist okay.«
»Mein Gott, dieser Tag im Krankenhaus! Du hast keine Ahnung, wie kurz ich davor war, das Flittchen zu suchen und ihr den psychotischen kleinen Hals umzudrehen …«
»Ruth, bitte …«
Sie bricht ihre Tirade ab und ergreift meine Hände. »Es tut mir leid, Alex, ich sollte das alles wirklich nicht sagen. Du hast sie geliebt, und ich nehme an, das kann ich respektieren – nicht verstehen, nicht im Mindesten, aber respektieren schon.« Eine unsichere Pause, und als sie weiterspricht, ist ihre Stimme so leise, dass ich mich vorlehnen muss, um sie zu verstehen. »Du musst im Moment schrecklich leiden und ich werde keinen von uns beiden beleidigen, indem ich vorgebe, ich wüsste, wie du dich fühlst. Aber ich will, dass du weißt – ich will, dass du dir da absolut sicher bist –, dass ich deine Freundin bin, Alex. Wenn du reden willst, werde ich zuhören; wenn du allein sein willst, gehe ich. Es ist an dir.«
Weiterreden ist das Letzte, das ich im Moment will; alles, was ich sage, wird uns unweigerlich zu denselben alten Streitpunkten zurückführen. Ruth kann nicht verstehen, wie ich mich fühle, und warum sollte sie das auch können, wenn ich es selbst nicht schaffe? Aber der Gedanke, allein in diesem Haus zu sein, diesem leeren, kalten Haus, in dem mich irgendwann die Erinnerungen an letzte Nacht einholen werden …
Tränen springen mir in die Augen, so schnell, dass ich sie nicht wegblinzeln kann, sondern nur peinlich berührt mit dem Ärmel meines Pullis wegwischen, bis Ruth mich aufhält, ihre Arme um meine Schultern legt und mich an sich zieht. Es tut mir leid , will ich beteuern, das bin nicht ich, all dieses Weinen, das bin nicht ich . Aber ich sage nichts und, Gott sei Dank, sie ebenso wenig. Es gibt kein Wiegen oder Streicheln meines Rückens, keine beruhigenden Geräusche oder leere Versprechungen, dass alles wieder gut werden wird. Nur ihre Arme, stark und ruhig, die mich halten und zulassen, dass ich sie halte.
Und als ich fertig bin und die Tränen genauso schnell versiegt sind, wie sie kamen, gibt sie mir einfach nur ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Mir geht
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