You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
kleinen Spaziergang machen wolle, und sie ging wahrscheinlich davon aus, dass es ihm darum ging, draußen einen klaren Kopf zu bekommen. Der nächste Supermarkt war nicht weit; man musste hinter unserer Einfahrt nur nach links auf den Ventura Boulevard, die längste Ost-West-Verbindung zwischen dem San Fernando Valley und Hollywood, und dann bis zur nächsten Kreuzung gehen. Aber Michael war nicht unterwegs, um einen klaren Kopf zu bekommen: Er wollte unter Leute, Freunde finden, „Menschen, die keine Ahnung hatten, wer ich war … ich wollte irgendjemanden aus der Nachbarschaft kennenlernen.“
Erst Jahre später sprachen wir einmal darüber. „Wieso hast du mich nicht angerufen? Oder jemand anderen von unseren Brüdern?“
„Du hattest doch Hazel. Ich wollte euch nicht stören.“ So war Michael – ständig erfüllt von der Angst, anderen lästig zu fallen oder ihren Plänen im Weg zu stehen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass wir früher unsere Treffen nie hatten organisieren müssen, weil wir ja ohnehin immer zusammen waren; dadurch war uns die Vorstellung fremd, uns miteinander zu verabreden. Es war allerdings auch nicht das erste Mal, dass es ihm schlecht ging und er sich nicht an die Familie gewandt hatte. Eher litt er still vor sich hin, ging weg und versuchte die Antworten bei Fremden zu finden. Es war, als hätte er das Bedürfnis gehabt, eine völlig unvoreingenommene Verbindung zu einem Menschen einzugehen. Nicht, dass sich diese Hoffnung auch nur annähernd erfüllte. Wie er mir berichtete, kam der Verkehr auf dem Ventura Boulevard zum Erliegen, als die Autofahrer Michael Jackson auf der Straße entdeckten. Sie kurbelten die Fensterscheiben herunter, baten ihn um ein Autogramm oder wollten ein Foto. Ich kann mir nur vorstellen, wie traurig es ihn gemacht haben muss, als seine Hoffnungen an der Realität scheiterten.
Michael erkannte bald, dass sein wahres Ich unsichtbar war; die Menschen sahen immer nur das Image von Michael Jackson. So ist das mit dem Ruhm: Er verdeckt das wahre Ich, und jemand wie mein Bruder hat keine Möglichkeit, als Privatperson wahrgenommen zu werden. Von diesem Tag an wusste er, dass er seine Freunde nur noch innerhalb einer ausgewählten Gruppe von A-Promis finden würde.
Es war ein glücklicher Zufall, dass Michael in The Wiz mitspielte, denn auf diese Weise lernte er Quincy Jones kennen, der den Soundtrack zum Film arrangierte, und so kam es, dass Quincy 1979 auch die Produktion von Michaels erstem Soloalbum Off The Wall übernahm. Michael hatte schon vorher von Quincy gehört, der damals das Konzertensemble Wattsline leitete und außerdem in L.A. regelmäßig Workshops für unbekannte Künstler veranstaltete. Als er sich bereiterklärte, mit meinem Bruder zu arbeiten, drückte er das so aus: „Wenn er die Leute zum Weinen bringt, wenn er von einer Ratte singt, dann ist er etwas Besonderes!“
Ursprünglich war das Album als neues Soloprojekt geplant, während er weiterhin ein Teil der Gruppe bleiben sollte, und Michael integrierte sein Material ins Programm der Jacksons’ Triumph Tour , bei der ansonsten Songs des neuen Gruppen-Albums Triumph im Mittelpunkt standen. Ich kann wirklich nicht sagen, ob er nach den Erfolgen der bisherigen Soloplatten davon ausging, dass auch dieses Album wieder durchstarten werde, aber der Quincy-Faktor änderte alles. Quincy und Michael erwiesen sich als ein perfektes Team – ein Herz und eine Seele. Quincy wusste Michaels Ideen zutage zu fördern und zu formen; er war der Handwerker, der Michaels Kreativität ihre Gestalt gab. Gemeinsam erschufen sie Michaels typischen Sound, und Off The Wall verkaufte sich allein in den USA 8 Millionen Mal. Zwei Singles aus dem Album erreichten in den Billboard-Charts Platz 1 – „Rock With You“ und „Don’t Stop Till You Get Enough“, das zudem später mit einem Grammy für die beste männliche Gesangsdarbietung im Bereich R&B ausgezeichnet wurde.
Aber Michael feierte seinen ersten Grammy nicht, er weinte. Er sah sich die Verleihung zu Hause vor dem Fernseher an und war am Boden zerstört, dass Off The Wall nicht zur Platte des Jahres gekürt worden war. Das Album war von der Musikindustrie, den Kritikern und den Fans begeistert gefeiert worden, und ein einziges goldenes Grammophon als Preis dafür war eine herbe Enttäuschung für ihn. Er fühlte sich nicht geehrt, sondern zurückgewiesen, als hätte man sein großes Werk größtenteils übersehen. Aber er gab sich nicht geschlagen.
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