You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
es eines Tages übermenschliche Kräfte geben mag, die dich in Versuchung führen werden. Und wenn du noch so gute Vorsätze hast, du musst dich diesen Prüfungen stellen. Und diese Zusammenarbeit mit einer bisher noch unbekannten Künstlerin wurde meine Prüfung.
Im Idealfall ist die Zusammenarbeit zweier Künstler eine Liebesaffäre zwischen Sounds und Stimmen. Wenn ein Künstler und ein Produzent oder auch zwei Künstler im Studio eine derart symbiotische Beziehung eingehen, dann entsteht daraus ein enormes kreatives Hochgefühl.
Michael hatte das Glück, mit einigen der größten Namen in der ganzen Musikbranche arbeiten zu können, aber der Star, auf den er sich am meisten freute, war sein „musikalischer Prophet“ Stevie Wonder. Stevie war und ist bis zum heutigen Tag ein großer Freund der Familie, der an vielen unveröffentlichten Tracks der Jackson 5 mitgearbeitet hat (wir wiederum sangen die begleitenden Dooda-Waps für seinen Hit „You Haven’t Done Nothing“). Wir alle arbeiteten mit der gleichen Präzision: Ein Song wurde sorgfältig strukturiert und als kompliziertes Kunstwerk betrachtet, das Schicht für Schicht entstand, indem ein Detail nach dem anderen und ein Instrument nach dem anderen hinzugefügt wurde. Stevie nannte das „ein Bild mit Tönen malen“. Ein bestimmter Klang entsprach einer Farbe. Wenn sie zusammenkamen, entstand Musik – so ging dieser blinde Mann an seine Arbeit heran. Er war oft in Hayvenhurst, und Michael durfte in den Wonderland Studios in Hollywood dabei zusehen, wie Stevie sein Meisterwerk Songs In The Key Of Life einspielte. „Es war, als dürfte man beim größten Komponisten aller Zeiten durchs Schlüsselloch schauen“, sagte Michael.
In den 1980er-Jahren arbeiteten wir beide unabhängig von einander mit dem großen Mann zusammen, und wir fanden es unglaublich, wie viele Keyboards er besaß, die ihm alle möglichen Hersteller aus Japan geschickt hatten und die wie Liegestühle aufgestapelt in einer Ecke des Studios standen.
Wenn die Musik einsetzte, war Stevie wie ein Kind in einem Süßwarenladen – er flitzte von seinen Keyboards zu einem anderen Instrument und wieder zurück, „sah“, welche Schattierungen sein musikalischer Pinsel schuf, und summte dabei unter seinen Kopfhörern mit, während er sich mit zurückgelehntem Kopf auf dem Stuhl hin und her wiegte. Wenn er den Kopf in den Nacken warf und lachte, dann wusste man, dass er einen ganz bestimmten Sound auf den Punkt gebracht hatte, und man merkte auch, wie viel ihm das bedeutete. Zu meinen liebsten Erinnerungen aus meinen fünf Motown-Jahren nach den Jackson 5 zählt vor allem die Zusammenarbeit mit Stevie bei „You Were Supposed To Keep Your Love For Me“, „Where Are You Now“ und „My Cherie Amour“.
Nie werde ich den Abend vergessen, an dem ich zu seiner Wohnung in Hollywood hinausfuhr, weil wir gemeinsam an „Let’s Get Serious“ arbeiten wollten. Eigentlich hatten wir geplant, gegen acht Uhr abends in ein Studio in Irvine zu fahren, aber als ich bei ihm ankam, waren jede Menge Keyboard-Spezialisten aus Asien da und zeigten ihm die neusten und großartigsten Modelle. Wieso verschwendest du deine Zeit mit diesem Kram, wo wir doch verabredet sind und arbeiten wollten? , dachte ich verärgert. Als Stevie sich endlich von diesen Leuten losgerissen hatte, war es schon weit nach zehn, und als wir in Irvine ankamen, schon fast Mitternacht. Ich war müde und kurz davor, die ganze Sache abzublasen, und noch dazu sah ich kein einziges Mikrofon. Nun allerdings deutete Stevie auf die Wand, an der eine flache Platte angeschraubt war. „Das ist das Mikrofon? Soll das ein Witz sein? Ich soll mich zwei Zentimeter vor eine Wand stellen beim Singen?“, fragte ich. Offenbar handelte es sich hier um eine Art Elektret-Kondensatormikrofon, das den Sound besser einfing.
„Hast du Lust auf eine Partie Air-Hockey, bevor wir anfangen?“, fragte Stevie. Wenn er mein Gesicht hätte sehen können, hätte er meine Antwort erraten. „Komm schon, du trittst gegen einen Blinden an, das wirst du doch wohl schaffen.“ Ich zögerte. „Und dann fangen wir an zu arbeiten“, fügte er hinzu.
Ich schluckte den Köder. Und er hatte recht: Er war kein Gegner für mich, und ich gewann problemlos. Aber natürlich war ich ihm auf den Leim gegangen. Im zweiten Spiel machte er mich richtig platt, und als ich auf einem dritten und vierten bestand, um mich zu revanchieren, lederte er mich genauso ab. Ich gewann kein
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