You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Spiel mehr. Stevie Wonder ist nicht nur gut im Versteckspielen, sondern er ist auch ein verdammter Fuchs beim Air-Hockey. Wenn er mich wieder besiegt hatte, stand er mir gegenüber, die Hände links und rechts an den kleinen Spieltisch gelegt, und wiegte sich leicht hin und her, wobei er auf seine typische Art und Weise grinste.
Inzwischen war es schon fast halb zwei, und ich sah roten Nebel vor Augen. Ich war so stocksauer, dass er mich erst zum Besten gehalten und mich dann noch beim Air-Hockey nass gemacht hatte, dass ich einen Wutanfall bekam, den kleinen Hockeytisch hochriss und wieder auf seine Beine krachen ließ. „Oh Mann“, sagte Stevie, „du bist ja richtig in Fahrt – willst du jetzt singen?“
Und so nahmen wir „Let’s Get Serious“ auf – ein guter Produzent weiß eben genau, wie er das Beste aus einem Künstler herausholt.
Wenn Michael hingegen als Produzent und Künstler in Personalunion agierte, war das Ergebnis ebenso poetisch wie einzigartig. Wenn man sich vergegenwärtigen will, wie er Musik schuf, muss man seine Hits so lange entblättern, bis nur noch das Rohgerüst übrigbleibt: die Grundidee, die er ganz am Anfang in sein kleines Aufnahmegerät gesungen hatte. Fast alle Songs, die Michael je veröffentlichte, hat er zu Beginn komplett in seinem Kopf durcharrangiert. Er saß nie am Klavier oder einem Keyboard und wartete darauf, dass ihm etwas einfiel, und er experimentierte auch nicht mit irgendwelchen technischen Geräten – die Inspiration konnte ihn in jedem Augenblick ereilen. Manchmal, wenn er bei einem geschäftlichen Treffen war oder in einem Restaurant saß, kam es vor, dass er plötzlich ein Stück Papier oder eine Serviette nahm, um sich etwas darauf zu notieren, und dann wusste man, dass da etwas in seinem Kopf Gestalt annahm, das er sofort auf Band festhalten würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. „I Just Can’t Stop Loving You“ fiel ihm beispielsweise ein, als er morgens noch im Bett lag, und er zog seinen Kassettenrecorder zu sich heran und hielt die Idee sofort fest. Diese blitzartigen Einfälle bezeichnete er stets als „Gottes Werk“. Er schnappte sich sein Aufnahmegerät, gab sich in der Manier eines Beatboxers einen Rhythmus vor, und dann imitierte er auch alles andere – den Bass, die Bläser, die Streicher und so weiter –, bis er die gesamte Struktur und das Feeling des Songs so auf den Punkt gebracht hatte, wie er ihm vorschwebte.
Wenn er dann im Studio war, nahm er sich das Instrument, das ihm zuerst eingefallen war, und dann spielte er den anderen Musikern seine Aufnahme vor, um damit den Song gewissermaßen aus seinem Kopf heraus in die Köpfe der anderen wandern zu lassen. Sie spielten dann alles so, wie sie es auf dem Band hörten – ihre Version musste exakt dem entsprechen, was er vorgegeben hatte. Michael arrangierte sozusagen ein Orchester, und diese klangliche Blaupause, mit der seine Idee aus seinem Kopf in die Köpfe der anderen transportierte, war ebenso beeindruckend wie später der fertige Song. Ihm genügte es auch, einen Titel einmal durchzugehen, und sofort wusste er, wie er ihn singen wollte. Ich glaube nicht, dass er je nach dem richtigen Sound gesucht hat oder nach den richtigen Worten: Wenn er sich von seiner Inspiration überwältigen ließ, dann ergab sich das alles wie von selbst. Für ihn war Musik ein endloser Ideenstrom aus seinem Inneren, aus dem es lediglich zu schöpfen galt.
Anschließend machte er sich an den Text, und wenn Michael sich mit seinem Notizblock und einem Bleistift hinsetzte, überlegte er gleichzeitig schon, wie das Video dazu aussehen konnte. Er schrieb ganz visuell – er baute ein Bild oder eine Szene in seinem Kopf auf, dann suchte er die passenden Worte dazu. Er liebte diese Arbeit, weil es ein so magischer, spiritueller Prozess war. Er sagte damals darüber: „Ich liebe es, etwas Magisches zu erschaffen, etwas zusammenzustellen, das so ungewöhnlich und verblüffend ist, dass es den Leuten die Köpfe wegfegt.“
Und genau das wollte ich auch tun, als ich ihn im Herbst 1983 anrief und ihm vorschlug, ein Duett mit mir zu singen.
Ich weiß nicht, ob ich je wirklich die Hoffnung aufgegeben hatte, einmal wieder mit Michael im Studio zu stehen, aber zumindest war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich es für ziemlich unwahrscheinlich hielt. Vor allem, nachdem Thriller seiner Karriere diesen enormen Schub gegeben hatte. Aber manchmal reichen eine Idee und ein Telefonanruf, und schon ist
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