You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
trat einen Schritt zur Seite.
Seine Taktik konnte uns nicht abschrecken. Wir klopften an Michaels Tür und betraten die Suite. Er freute sich, uns zu sehen, obwohl das sich uns bietende Bild alle überraschte: Er saß mit einer Infusionsflasche auf einem Stuhl. Tropfen für Tropfen bahnte sich seinen Weg durch den Schlauch in die Kanüle, die in seinem Handgelenk steckte.
„Was ist denn hier los“, fragte Jackie entsetzt, stets ein fürsorglicher Mensch. Er ging zur Infusionsflasche, um sich zu vergewissern, dass Michael Salzlösung verabreicht wurde.
Michael erzählte uns von seinem Kollaps vor der Show in Singapur, die abgesagt werden musste. Der Doktor hielt sich auch in der Suite auf und erklärte, dass Michael an Dehydratation leide. Mein Bruder war immer noch am Kämpfen, und der Arzt machte sich ernsthafte Sorgen um seinen Kreislauf …
Der Arzt hielt inne, da ich, meine Augen auf Michael richtend, nicht mehr zuhörte. Dieser hatte vor einem Auftritt niemals trauriger und zerbrechlicher ausgesehen, denn normalerweise konzentrierte er sich auf seine Performance und steckte voller Energie. Nun machte er einen ausgemergelten Eindruck, ähnlich einem Marathonläufer, der hinter der Ziellinie zu Boden geht und verzweifelt nach Flüssigkeit verlangt. Und ihm stand noch ein 90-minütiges Konzert bevor! „Ich bin nur gestresst, nichts weiter“, meinte er. „Ich muss nur Flüssigkeit zu mir nehmen.“ Seine Augen, die immer strahlten, wirkten jetzt trüb, wie vernebelt. Michael aß unter normalen Umständen schon nicht viel, doch wenn er sich gestresst fühlte, nahm er gar keine Nahrung mehr zu sich. Vermutlich hatte er eine Woche lang weder gegessen noch geschlafen. Er war nur noch ein Wrack.
Anwälte und Kommentatoren in den Medien stellten sich die Frage, ob er in der Öffentlichkeit „das Opfer spielt“, doch im Privaten begegnete ich einem Mann, der mit jeder Faser seines Körpers darum kämpfte, aufrecht stehen und auf die Bühne gehen zu können. Ich erlebte keinen Mann, der zusammengeklappt war oder um Verständnis bettelte, zumindest nicht vor der demütigenden Körpervisitation, die zwei Monate später folgte. Die Situation forderte auf der physischen Ebene ihren Tribut, doch sein Geist schien unerschütterlich zu sein.
Bevor wir Michael verließen, erinnerten wir meinen Bruder daran, dass ihn die Familie da sei, um ihn zu unterstützen. Ich versprach ihm, am nächsten Tag wiederzukommen. Und das machten wir auch. Wir bestärkten ihn, sich den kommenden Ereignissen zu stellen, und nahmen dabei kein Blatt vor den Mund – wie Brüder nun mal so sind. Doch das Resultat der ärztlichen Untersuchung schien ihn nicht zu beunruhigen. Am nächsten Tag beschäftigte Michael eine ganz andere Frage: „Was versuchen sie mir anzutun? Warum geschieht das wohl?“, dachte er laut nach.
Als Familie fühlten wir uns uneingeschränkt solidarisch mit ihm. Solange wir zusammenhielten, würde die Gerechtigkeit siegen – daran glaubten wir zumindest. Als dann aber La Toya in einer Fernsehsendung in Tel Aviv auftrat, um Michael zu denunzieren, hatten wir das Gefühl, am Scheideweg zu stehen und auseinandergerissen zu werden. Sie sagte: „Michael ist mein Bruder, und ich liebe ihn sehr. Aber ich will nicht zum stillschweigenden Mittäter werden, wenn es um Verbrechen an Kindern geht.“
Ich sah die Pressekonferenz und das folgende Interview mit NBC am nächsten Morgen und konnte kaum glauben, wie frei sie plötzlich vor der Kamera sprach – als lese sie den Text von den Lippen eines anderen ab.
Dem Fernsehpublikum erschien La Toyas Interview wie eine unumstößliche und gleichzeitig überzeugende Verurteilung. Aber wir kannten unsere Schwester und wussten, was für eine Sprache sie normalerweise benutzte. Die Wahrheit erkannten wir in dem Moment, in dem sie behauptete, Mutter habe Michael als „verfluchten Schwulen“ beschimpft. Diese Worte waren La Toya von ihrem Manager und Geliebten Jack Gordon in den Mund gelegt worden, der sie – ihren eigenen Worten nach – grün und blau geschlagen hätte, wäre sie nicht seinen Anweisungen gefolgt. Doch das ist nicht meine Geschichte. La Toya hat die Geschehnisse in ihrem eigenen Buch mit dem Titel Starting Over beschrieben. Ich möchte betonen, dass Michael und auch die Familie ihr damals verziehen haben.
Im November, ungefähr zwei Monate später, traf uns ein neuer Schicksalsschlag – gerade, als wir dachten, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Michael
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