You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
von Selbsttäuschung des Sohnes eines einfachen Stahlarbeiters lachen. Und jetzt war mein Tagtraum beinahe Realität geworden. Ich lebte gleichzeitig Michaels Traum, denn er hatte sich oft vorgestellt, Chaplins Wege wiederzuentdecken, ähnlich wie viele seiner Fans, die unbedingt Neverland besuchen wollten.
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als man mir das Familienarchiv im Keller zeigte. Es wirkte nicht so sehr wie ein Archiv, sondern eher wie ein Gewölbe, da keine Fenster, sondern nur schmale Schlitze in Deckenhöhe etwas Licht einließen. Dort befanden sich alle Andenken: Fotos von Charlie Chaplin ohne Kostümierung, als ganz normaler Familienvater, ohne seinen Schnauzer, und Aufnahmen, die ihn als Gentleman zeigten, in einem vornehmen Anzug mit zurückgekämmtem dünnem weißem Haar. Kinoplakate hingen an den Wänden, und alte Filmspulen lagerten in silbernen Blechdosen. Ich befand mich Tausende Meilen vom Wahnsinn L.A.s entfernt und war doch im Zentrum der Welt des Gründersvaters der Kinoindustrie. Vorsichtig nahm ich einen Oscar aus dem Regal und merkte plötzlich, dass die Academy geglaubt haben musste, dass ihre Preisträger Gewichtheber seien. Die alten Trophäen waren unglaublich schwer !
Ich kehrte in die USA zurück und rief Michael an, um ihm von meinen Erlebnissen zu berichten. Ganz aufgeregt sagte ich: „Du hättest da sein müssen! Du hättest …“
„Jermaine“, unterbrach er mich. „Ich war erst vor wenigen Wochen dort! Ich wusste nicht, dass du die Chaplins auch kennst.“
Dann tauschen wir unsere Geschichten aus und kamen zu der Einsicht, wie klein die Welt doch ist.
Mandela in Südafrika. Chaplins Geist in der Schweiz. Es schien egal zu sein, in welchem Winkel der Erde wir unterwegs waren – unserer Lebenswege kreuzten sich stets. Es gab noch andere Gelegenheiten, bei dem ihm erzählt wurde, dass ich erst gerade da gewesen sei oder umgekehrt – diese Zufälle amüsierten uns ständig. Nach all diesen Episoden hielt ich in den nächsten Jahren meine Augen offen und erwartete, dass Michael gleich um eine Ecke kommt oder mir von hinten auf die Schulter klopft – und das hat sich immer noch nicht geändert.
Auch nach Michaels Tod im Jahr 2009 hörten die Zufälle – Zeichen Gottes, durch die ich Trost fand – nicht auf. In Mumbai spürte ich ganz deutlich ein „Klopfen auf meiner Schulter“, was mich sehr befremdete. Ich hielt mich in Indien auf, um das Video zum Song „Let’s Go To Mumbai City“ zu drehen, der an die Opfer der Terroranschläge vom November 2008 erinnern sollte. Wir filmten auf dem Bahnhof, wo 58 Menschen erschossen worden waren. Nach der Arbeit wollte ich noch nicht gleich ins Hotel zurückkehren. Stattdessen schlenderte ich durch die Straßen und erreichte einen Basar-ähnlichen, mit Menschen gefüllten Markplatz, wo sich die Stände von Schneidern und Schuhmachern drängten. Der Platz wurde von zahlreichen Geschäften gesäumt, in denen man Stoffe und Anzüge ausstellte. Ich folgte ziellos der Straße, bis ich ein unglaubliches Kleidungsstück entdeckte, das in dem Geschäft für Elektrogeräte fehl am Platz wirkte. Es war eine der langen, reichlich bestickten Sherwani-Jacken. Sie sah wirklich erstklassig aus. Wie magisch zog mich dieser Laden an, und ich ging hinein. Vor der Verkaufstheke hatte sich eine Menschenschlange gebildet. „Wo ist das Geschäft, das diese Jacke führt?“, schrie ich durch das Stimmenwirrwarr.
„Roopam … Sie sind auf der Suche nach Roopam, Sir. Im dritten Stock“, antwortete ein Mann.
Ich nahm den Aufzug, fuhr nach oben und schritt durch einen Korridor, auf dessen rechter Seite Frauen- und links Herrenmode ausgestellt war. Vorsichtig betrat ich einen Raum, an dessen Wänden Tuch und Anzüge hingen. In der Mitte stand der Werktisch eines Schneiders. Der Besitzer – er hieß Viran Shah – kam aus einem Büro im hinteren Bereich, um seinen neuen Kunden zu begrüßen. „Oh … mein … Gott!“, stieß er verblüfft aus.
„Wie bitte?“, antwortete ich, mich dabei umschauend, ob er nicht einen anderen meinte.
„Oooooh … mein … Gott!“ Hastig schlurfte er zurück in das Büro, kramte dort laut in irgendwelchen Unterlagen und kam mit einem Aktenordner zurück, den er auf den großen Tisch legte. „Ihr Bruder Michael – er war hier! Er kaufte hier Kleidung ein!“
In dem Ordner befanden sich Fotos von Mr. Shah und meinem Bruder aus dem Jahr 1996. Ich war durch alle möglichen Straßen spaziert und hatte so
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