You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
nicht ahnen können, wie falsch das ist. Trauer ist eine klaffende Wunde, die nicht genäht werden kann. Kein Chirurg wird sie heilen können, denn sie ist eine allumfassende emotionale Qual. Dieser Schmerz zieht in das Haus des Körpers ein, man muss ihn ertragen und für den Rest des Lebens in sich dulden. Und wir mussten zusätzlich auch noch die Reaktionen der Fans ertragen, die uns anblickten, um unsere Trauer zu deuten, die sich die Frage stellten, ob wir auch so schrecklich litten wie sie selbst. Denn jenseits dieser Krankenhausmauern gab es eine Welt voller Fans – Millionen von Fremden, die mein Bruder immer als seine zweite Familie beschrieben hatte –, die man ebenfalls nicht trösten konnte.
Im Korridor erblickte ich einige wartende Anzugträger: Randy Phillips, den Geschäftsführer von AEG, Frank Dileo, den Manager, den Michael schon vor langer Zeit gefeuert hatte, der aber seit einigen Wochen für die AEG tätig war, und Tohme-Tohme, erst vor kurzem gleichfalls von meinem Bruder entlassen worden. Doch ich hatte keine Chance, eingehend mit ihnen zu reden. Irgendjemand kam auf mich zu und bat mich, eine Presseerklärung zu verlesen, in der Michaels Tod bestätigt wurde. „Natürlich“, antwortete ich mit brüchiger Stimme. „Seine Fans haben ein Recht darauf.“
„Wir müssen zuerst noch einen fensterlosen Raum finden, denn dort draußen warten immens viele Fans. Falls sie rausgehen würden, bestände die Gefahr, an den Glasscheiben erdrückt zu werden.“
Einige Fans stellten sich die Frage, warum gerade ich die Erklärung verlas und nicht ein Arzt. Ich kann darauf nur antworten, dass es die Idee der Rechtsanwälte und der Ärzte war, die ich angemessen fand, denn ein Mensch mit einer persönlichen Verbindung zu Michael sollte die schwierige Aufgabe absolvieren. Die Gemeinschaft der Fans sollte es von einem Familienmitglied hören.
Ich stand also in einem Hinterzimmer, wartete auf meinen Einsatz und las die Zeilen, die für mich verfasst worden waren. Sie einmal in Ruhe zu studieren verhalf mir zu einer kurzen Verschnaufpause. Ich konnte den Text nicht verstehen, nicht verarbeiten. Er stand doch kurz vor seinem Comeback und hätte es allen gezeigt. Er kann doch nicht tot sein. Das kann doch alles nicht wirklich geschehen sein. Wie kann …?
„Sie sind jetzt so weit, Jermaine“, rief jemand.
Ich ging in den Konferenzraum, geblendet von den Blitzlichtern unzähliger Kameras. Als ich vor den vielen Mikrofonen und Scheinwerfern stand, holte ich tief Luft und begann zu lesen: „Mein Bruder, der legendäre King of Pop, Michael Jackson, verstarb am Donnerstag, den 25. Juni 2009, um 14.26. Vermutlich erlitt er in seinem Haus einen Herzstillstand. Allerdings ist die Todesursache erst nach einer Autopsie mit Bestimmtheit zu benennen. Sein persönlicher Arzt, der zum Todeszeitpunkt bei ihm war, versuchte meinen Bruder ebenso wiederzubeleben wie auch die Rettungssanitäter, die ihn ins Krankenhaus transportierten. Bei der Einlieferung unternahm ein Ärzteteam eine Stunde lang Wiederbelebungsversuche, doch ohne Erfolg …“
Später erfuhren wir von der Sinnlosigkeit der Reanimationsversuche, denn Michael war schon verstorben, bevor jemand die Notrufnummer 911 wählte. Ungefähr um 12.05 kam es bei ihm, er war in seinem Schlafzimmer, zu einem Atemstillstand, und anscheinend wurde erst um 12.21 die Notrufzentrale verständigt.
Nach der Pressekonferenz ging ich in den Raum, in dem sich Mutter aufhielt. Joseph war auf dem Weg von Vegas hierher. Sie saß immer noch auf dem Stuhl, und hatte sich kaum bewegt, doch sie war ansprechbar. „Hi, Baby, bist du okay?“, fragte sie, jetzt wieder in der Rolle einer Mutter, darauf bedacht, dass es den anderen gutging. Wir saßen schweigend in dem Raum und hielten unsere Hände. Mutter hatte die ganze Fahrt zum Krankenhaus dafür gebetet, dass Michael doch noch am Leben war. Tränen liefen ihre Wangen hinunter, als sie diese Hoffnung mit mir noch einmal durchlebte.
Unser Gespräch wurde jäh unterbrochen, als ein großer, stämmiger Schwarzer hereinkam, mit einem betrübten und gleichzeitig angespannten Gesichtsausdruck. Ich dachte, es sei jemand von der Security. Er setzte sich hin und wirkte bedrückt. Sein ganzes Verhalten drückte Unbehagen aus. Langsam dämmerte mir, wer es war – Dr. Conrad Murray, der Leibarzt meines Bruders. Er wollte uns sein Beileid aussprechen. Er war mit dem Notarztwagen gekommen und hatte meiner Mutter die schrecklichen Neuigkeiten
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