You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
„ER IST TOT? MICHAEL IST TOT?“
„Er ist tot.“ Mutters Stimme klang nun weicher, aber zugleich auch viel trauriger.
Halima weinte. Ich weinte und nahm die restliche Fahrt nur noch durch tränenerfüllte Augen verschwommen wahr. Ich kann mich noch daran erinnern, ungefähr zwölf Nachrichtenhubschrauber in der Luft gesehen zu haben, die alle über einem Fleck kreisten. Die Straßen in Westwood waren komplett abgesperrt worden. Ein Menschenauflauf bildete sich, der in eine Richtung drängte. Als uns ein Polizeibeamter entdeckte, winkte er uns durch die Menge, und Halima ließ mich bei einer kleinen Allee aussteigen, die zum Seiteneingang des Krankenhauses führte. Teils rennend, teils gehend betrat ich das Gebäude, hetzte durch Korridore und durch Doppeltüren.
„Wo ist sie? Wo ist meine Mutter?“, fragte ich eine Schwester atemlos.
Sie deutete auf einen Konferenzraum. Dort fand ich sie. Sie saß regungslos am hinteren Ende des Tisches und trug eine Sonnenbrille. Mutter weinte nicht, sondern starrte nur ins Leere. Ich wusste jetzt, dass ich mir nichts mehr vormachen konnte.
Langsam ging ich zu Mutter hinüber, kniete mich an ihrer Seite nieder und drückte sie, so fest ich konnte. Sie wirkte wie erstarrt. Ich hielt sie weiter in den Armen, denn wir brauchten beide Trost. Leise kam mein Cousin Trent in den Raum. Ich konnte sie jetzt kurz seiner Obhut überlassen, denn er ist ein nervenstarker Mensch. Ich wollte nur noch zu meinem Bruder Michael.
Im Korridor sah ich La Toya auf mich zu rennen, gefolgt von Randy, der eindeutig unter Schock stand. Er wiederholte ständig: „Jemand hat ihm was angetan. Jemand hat ihm was angetan.“
Ich nahm den Kommentar gar nicht wahr. Ich konnte nichts aufnehmen. Randy zeigte mir den Weg zu dem Raum, in dem unser Bruder lag, und deutete auf eine Tür, die ich niemals mehr durchschreiten will.
Der Raum ähnelte einem Wohnzimmer. Dort standen ein Sofa und eine Lampe. Durch ein Fenster sah ich einen angrenzenden Raum. La Toya war schon dort und hatte sich zu Michaels Gesicht hinuntergebeugt, als spräche sie mit ihm. Er lag auf einer Bahre, nur mit einem Krankenhausnachthemd bekleidet. Ich fühlte mich zuerst nur wie ein stiller Beobachter, wie ein Mensch, der durch ein Fenster in einen Raum schaut und von außen die Realität verkennt. Doch dann blickte La Toya auf. Ich sah, wie die Tränen ihr Gesicht herunterliefen.
Ich riss mich zusammen, holte tief Luft und ging durch die rechte Seitentür. Ich ging zur anderen Seite der Bahre, berührte Michaels Hand, strich über seine immer noch zarte Haut, als wollte ich ihn trösten. Voller Entsetzen sah ich, wie abgemagert er war. Er schien nur noch die Hälfte zu wiegen im Vergleich zu vor einem Monat. Wäre ein Fremder in den Raum getreten, hätte er angenommen, mein Bruder sei an Krebs oder Magersucht gestorben. Oder – wie einer der Sanitäter später bemerkte – wie ein Hospiz-Patient ganz langsam entschlafen.
Was ist nur mir dir passiert? Ich wusste, dass auch das härteste Tanztraining nicht zu so einem Gewichtsverlust führte. Doch die Trauer trübte meine Gedanken. Ich verstand sein schrecklich abgemagertes Aussehen nicht, musste überhaupt erst kapieren, dass er tot war. Ich beugte mich hinunter und küsste seine Stirn, sagte zu ihm, dass ich ihn liebe. Es fiel mir schwer, mich von ihm loszureißen, und ich schob eins der Augenlider hoch, denn ich wollte ihm noch ein letztes Mal in die Augen sehen.
Schau mich an, Michael. Schau mich doch bitte an.
Ich legte den Kopf auf seine Stirn und weinte hemmungslos.
Ich verstieß gegen die islamischen Lehren, die besagen, dass ich nur eine leere Hülle betrachtete, aus der der Geist bereits gefahren war, ein Geist, der vielleicht auf mich herabblickte, mir auftrug, nicht zu weinen, da es ihm gutgehe. Ich erinnerte mich daran, wie wir davon sprachen, dass wir gerne aus unseren Körpern hinaustreten würden, um uns zu betrachten und kritisieren. Betrachtete er uns jetzt? Wahrscheinlich.
Prince, Paris und „Blanket“ wurden von einer Krankenschwester hereingeführt. Ich möchte hier nichts über ihre Reaktionen erzählen, denn das gehört zu ihrer Privatsphäre. Doch in dem Moment, in dem ich sah, wie die Kinder in sich zusammensackten, musste ich hinaus und sie mit ihrer Tante alleine lassen. Ich war einfach nicht stark genug, um sie aufzufangen, und fühlte, wie meine Beine nachgaben.
Die Trauer wird oft als physischer Schmerz beschrieben, doch bis zu dem Tag hätte ich
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