You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Völker zu lesen. Auch schaffte sie es immer, uns einen Nachmittag für Sightseeing freizuhalten. Für sie waren die Tourneen der Jackson 5 wie Schulausflüge, nur ausgedehnter und vielleicht etwas exotischer. Australien hieß uns mit größter Herzlichkeit willkommen und rollte uns wirklich den roten Teppich aus. In einer Stadt bereitete man uns einen Empfang mit einem ausgefallenen Buffet, das eines Königs würdig gewesen wäre. Wo genau das war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, aber die australische Gastfreundschaft war so legendär, dass es überall hätte sein können. Inzwischen waren wir ohnehin ausgesprochen versiert, was gesellschaftliche Anlässe betraf – offizielle Veranstaltungen waren für uns Teil unserer Routine, und wir gingen brav von einem Gast zum nächsten und lächelten den Jetlag weg.
Während wir uns unter die Gäste mischten, schlenderte Joseph davon und gesellte sich zu einer Gruppe von etwa hundert schwarzen Teenagern, die hinter einem Zaun standen. Sie waren Aborigines. Rose hatte uns erzählt, dass das Opernhaus von Sydney auf dem Bennelong Point erbaut worden war, einem Ort, den die Briten den australischen Ureinwohnern noch vor der Kolonialzeit weggenommen hatten. Wir fragten uns, was Joseph vorhatte, als er auch schon wieder zurückkam und erklärte, die jungen Leute aufs Gelände einladen zu wollen. Die Organisatoren erklärten ihm, das sei nicht gestattet: „Es handelt sich um Aborigines, Sir.“ Für jemanden, der stets nach Respekt und Gleichbehandlung für Schwarze gestrebt hatte, war diese Erklärung wie ein rotes Tuch. Wie der Blitz war Joseph wieder am Zaun, nahm eine junge Frau an die Hand und zog sie durch eine schmale Lücke, die in der Absperrung klaffte. Das Mädchen wirkte zunächst verängstigt und verwirrt, aber seine Freunde kamen schnell hinterher. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als die weißen Gäste zusehen mussten, wie unser Vater die gesellschaftlichen Normen und das Protokoll mit Füßen trat.
„Jungs! Kommt mal her und begrüßt eure Fans!“, rief Joseph. Die jungen Aborigines sahen so glücklich aus, dass es eine Freude war, und Joseph lachte. Einen kurzen Augenblick herrschte peinliche Stille, aber niemand forderte sie zum Gehen auf, und der Abend, an dem sich Weiße und Aborigines auf der Party der Jackson 5 begegneten, wurde ein richtiger Erfolg.
Einige Tage später erhielten wir daraufhin eine Einladung in ein entlegenes Aborigines-Reservat. „Wir würden Ihnen nicht raten, dort hinzugehen, Mr. Jackson“, sagte ein Behördenvertreter. „Wir können dort nicht für Ihre Sicherheit garantieren.“
Joseph ignorierte diesen Rat, und Michael fasste es in ganz einfache Worte: „Wir können doch auch Aborigines-Fans haben, oder? Sie sind doch nicht anders als andere.“
Mit einem Übersetzer im Schlepptau unternahmen wir den Abstecher ins Reservat. Es war eine phantastische Erfahrung, auch wenn wir uns unter den Stammesangehörigen, die mit nackter Brust dastanden, wie herausgeputzte Aliens fühlten. Aber wir hatten nicht das Gefühl, dass man uns Misstrauen entgegenbrachte oder über uns urteilte. Was uns jedoch sehr berührte, war die spirituelle Kraft, die von diesem ganzen Ort ausging. Wir sahen Leuten zu, die Schnitzereien aus Baumrinde anfertigten, und wir lernten, wie viel Spaß man mit einem Bumerang oder einem Didgeridoo haben kann – Tito hält das Instrument, das er als Souvenir mitnahm, noch immer in Ehren.
Als wir dann nach Afrika reisten, bekamen wir im Senegal zum ersten Mal einen afrikanischen Baobab zu sehen – diese Bäume sind ein echtes Naturwunder, können viele tausend Jahre alt werden und einen Stammumfang von 15 bis 40 Metern erreichen. Der Baum, der im Garten der Jackson Street 2300 wuchs, war im Vergleich ein dünner Stecken. „Dieser Baum ist einer der stärksten, die ihr jemals sehen werdet“, sagte Rose Fine, „es gab eine Zeit in den 1880er-Jahren, als der hohle Stamm eines Baobab als Gefängnis genutzt wurde.“ In West-Australien. Als Gefängnis für Aborigines.
Michael war verwirrt. Wie konnte etwas von so natürlicher Schönheit, eine Schöpfung von Mutter Erde, derart pervertiert werden, um darin Menschen einzukerkern? Bäume standen für die Familie und waren keine Gefängnisse. Licht und Dunkelheit. Gut und Böse. Das waren die Widersprüchlichkeiten des Lebens, die wir erst noch begreifen mussten.
Michael hatte, noch bevor er 18 wurde, einen großen Teil der Welt gesehen, und es
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