Young Sherlock Holmes 1
dann werden Chaos und Verwirrung herrschen!«
15
Die Worte des Barons hallten kalt von den Wänden wider. Vor ihnen im Dunkeln war geschäftiges Geraschel zu hören, während ein Diener mit den Befehlen den Raum verließ. Sherlock warf einen Blick auf Virginia. Ihr Gesicht war kreidebleich, aber ihr Mund hatte sich zu einer entschlossenen Linie verhärtet. Er drückte ihre Hand, woraufhin Virginia ihm ein mattes Lächeln schenkte.
Ihr unbeugsamer Geist machte Sherlock Mut weiterzumachen.
»Ein grandioser Plan«, sagte er in die Dunkelheit gewandt. »Nur wird er nicht funktionieren.«
Einen Moment lang herrschte Stille. Lediglich unterbrochen von den merkwürdigen knarzenden und knarrenden Geräuschen, die er bereits im Haus des Barons in Farnham gehört hatte. Etwas, das klang wie eine vom Meerwasser benetzte Schiffstakelage, an der der Wind und die ruckartigen Bewegungen eines Schiffsrumpfes zerrten, der in den Wellen hin- und hergeschleudert wurde.
»Du scheinst ziemlich selbstsicher zu sein«, meldete sich die Stimme des Barons wieder. »Für ein Kind.«
»Denken Sie doch mal drüber nach. Ihr Plan ist nicht unbedingt wasserdicht, nur weil ihm zufällig zwei Männer zum Opfer gefallen sind. Durch alle möglichen Umstände könnte die Chemikalie zum Beispiel aus dem Uniformstoff herausgewaschen werden. Denken Sie daran, in England regnet es. Es regnet eine Menge. Und einige Soldaten werden ihre Uniformen schon einmal zum Waschen gebracht haben, bevor die Bienen sie erreichen. Vor allem die Offiziere.« Sherlock kam nun richtig in Fahrt, und sein Kopf sprudelte plötzlich nur so von Ideen, warum Maupertuis’ grandiose Verschwörung zum Scheitern verurteilt war.
»Statt die von Ihnen gelieferten Uniformen zu benutzen, ziehen einige Soldaten vielleicht ihre alten Waffenröcke vor und behalten sie, oder sie bringen ihren Regimentsschneider dazu, ihnen eine neue zu schneidern. Ich weiß nicht viel von Frankreich, Deutschland oder Russland, aber die Leute in England mögen es nicht, gesagt zu bekommen, was sie zu tun oder anzuziehen haben. Sie finden stets Mittel und Wege, um solche Anweisungen zu umgehen.«
»Und was ist mit den Bienen?«, fügte Virginia unerwarteterweise hinzu. »Wie viele von ihnen werden die Hauptinsel tatsächlich erreichen? Wie viele Bienen brauchen Sie, um alle Gegenden abzudecken, in denen die Armee stationiert ist? Haben Sie auch wirklich genug? Und was ist, wenn es einen Kälteeinbruch gibt und die Bienen sterben, oder wenn es in England irgendein Tier gibt, das sie frisst, oder wenn sie sich einfach irgendwo niederlassen, einen neuen Staat gründen und hier zu einem Teil der natürlichen Umgebung werden? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie sich mit den einheimischen Bienen kreuzen, mit den britischen Bienen, und jede Spur von Aggressivität verlieren, auf der Ihr Plan beruht.«
»All diese Faktoren sind berücksichtigt worden«, erwiderte der Baron mit knochentrockener Stimme. Aber Sherlock hatte den Eindruck, dass dabei zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit durchklang. »Und selbst wenn einige Uniformen vorher gewaschen worden sind und ein paar Bienen sterben, was soll’s? Viele Angriffe werden trotzdem erfolgreich sein. Es wird ein Massensterben geben. Und die britische Armee wird gelähmt sein vor Angst.
Gelähmt.
«
»Sie verstehen einfach nicht, wie die Briten denken, nicht wahr?«, spottete Sherlock. In seinem Geist blitzten Erinnerungen an diverse Schulstunden auf, an das, was er – zusammengekauert auf einem Stuhl in der Bibliothek seines Vaters – in Büchern und Zeitungen gelesen oder von seinem Bruder Mycroft gehört hatte.
»Haben Sie jemals etwas von dem Todesritt der leichten Brigade gehört?«
Das Knarren und Knarzen stoppte abrupt, und plötzlich hatte Sherlock das Gefühl, als ob viele Ohren aufmerksam seinen Worten lauschten.
»Oh, ja«, zischte der Baron. »Ich habe von dem Todesritt der leichten Brigade gehört.«
»Während des Krimkrieges 1854 «, fuhr Sherlock unbeeindruckt fort, »bekamen die Soldaten des 4 . und 13 . leichten Dragonerregiments, des 17 . Ulanenregiments sowie des 8 . und 11 . Husarenregiments während der Schlacht von Balaclava den Befehl, die russischen Stellungen anzugreifen. Sie stürmten durch ein enges Tal voran, in dem sie von vorne und von beiden Seiten russischem Kanonenfeuer ausgesetzt waren. Trotzdem sind sie einfach weitergeritten und haben, ohne in Panik zu geraten oder zu meutern, ihre Befehle ausgeführt. Ich
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