Young Sherlock Holmes 1
worden war.
»Es gibt für uns keinen Grund hierzubleiben«, sagte Crowe und nahm sich beim Rausgehen das Taschentuch vom Gesicht. »Geh zurück zum Haus. Bitte eines der Hausmädchen, dir ein heißes Bad einzulassen. Schrubb dich von Kopf bis Fuß mit Karbolseife ab. Wechsele die Kleidung und leg die alten Sachen am besten zum Verbrennen nach draußen, wenn du noch was zum Wechseln hast. Andernfalls lass sie vom Hausmädchen zum Waschen bringen.«
Nach ausgiebigem Geschrubbe mit dunkelroter Karbolseife kam Sherlock eine Stunde später mit geröteter und rau gescheuerter Haut wieder aus dem Bad und zog seine Ersatzkleidung an. Beim Hinausgehen konnte er immer noch den teerartigen Geruch wahrnehmen, den die Seife auf seiner Haut hinterlassen hatte und der ihm beharrlich das Wasser in die Augen trieb. Als er um die Hausecke kam und sich die hartnäckigen Tränen aus den Augen wischte, sah er Amyus Crowe zusammen mit einem korpulenten Mann im schwarzen Gehrock vor dem baufälligen Schuppen stehen. Die beiden waren in ein Gespräch vertieft.
Das musste der Arzt sein. Beim Näherkommen konnte er die schrille, arrogante Stimme des Doktors hören: »Wir müssen die Behörden informieren. Das ist schon die zweite Leiche, die wir mit ähnlichen Symptomen aufgefunden haben. Wenn das wirklich die Pest ist, sind sofortige Vorkehrungen zu treffen. Der Markt morgen wird abgesagt und sämtliche öffentlichen Gebäude müssen geschlossen werden, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.
Ach, du lieber Himmel … vielleicht müssen wir sogar sämtliche Straßen in die Stadt sperren!«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Amyus Crowe in seiner langsamen, tiefen Stimme. »Bisher haben wir nur zwei Leichen. Zwei Regentropfen machen noch keinen Regenguss.«
»Aber wenn Sie erst warten, bis der Regen fällt, ehe Sie den Schirm aufspannen, werden Sie durchnässt sein«, erwiderte der Doktor.
Plötzlich wurde Sherlock klar, dass er mehr als die beiden wusste. Die Leiche, die blutigen Beulen, die Rauchwolke: All das entsprach genau dem, was Matthew Arnatt über den Mann erzählt hatte. Dem Mann, der in der Stadt gestorben war. Was war das für Rauch?
»Lassen Sie uns wenigstens warten, bis ein Experte einen Blick auf die Leiche werfen konnte.«
Der Arzt schüttelte verärgert den Kopf. »Was für ein Experte? Ich bin durchaus in der Lage, eine Obduktion durchzuführen. Aber ein Blick auf diese geschwollenen Pestbeulen genügt mir. Wir müssen davon ausgehen, dass wir es hier mit der Beulenpest zu tun haben, und dementsprechend handeln.«
Crowe hob beschwichtigend eine Hand. »Ich kenne einen Dozenten für Tropenkrankheiten, der in Guildford lebt. Professor Winchcombe. Wir könnten nach ihm schicken lassen. Ich werde einen Brief schreiben.«
»Schreiben Sie, wenn Sie möchten«, erwiderte der Doktor. »Aber während Sie das machen, werde ich mit dem Bürgermeister und dem Stadtrat sprechen. Und ebenfalls mit dem Bischof von Winchester.«
»Was hat der denn mit der Sache zu tun?«, fragte Crowe.
»Farnham Castle ist der offizielle Landsitz Seiner Exzellenz.«
Sherlock kam unauffällig näher, aber Amyus bemerkte ihn und forderte ihn mit einer Geste auf fernzubleiben. Verärgerung flammte in Sherlock auf. Schließlich war er es doch gewesen, der die Leiche gefunden hatte. Aber wie es aussah, wollte Crowe ihn jetzt außen vorlassen. Was erwartete Crowe von ihm? Dass er untätig hier herumstand, bis das Gespräch beendet war, um dann einfach wieder da mit dem Unterricht weiterzumachen, wo er unterbrochen worden war? Er konnte Besseres mit seiner Zeit anfangen. Und wenn Crowe sich darüber beschweren wollte, sollte er doch einen Brief an Mycroft schreiben.
Zutiefst verdrossen wandte Sherlock sich um und marschierte schnurstracks in den Wald zurück. Kaum hatte er die ersten Meter zwischen den Baumstämmen zurückgelegt, war das Haus auch schon aus seinem Blickfeld verschwunden. Der weiche Waldboden federte unter seinen Schritten. Um ihn herum gaben die in der sengenden Nachmittagssonne trocknenden Pflanzen ein leises Knistern von sich, und hin und wieder raschelte es im Unterholz, wenn sich dort ein Vogel oder Fuchs bewegte. Der Geruch von feuchtem Laub stieg vom Boden auf und überdeckte die letzten Reste der penetranten Brandy- und Karboldünste, die er noch in der Nase hatte. Da es keine Pfade und Wege durch das dichte Unterholz gab, sah Sherlock sich unversehens gezwungen, immer wieder vorsichtig über gefallene Baumstämme zu
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