Young Sherlock Holmes 2
platzte es aus ihm heraus. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie in der Lage sind, die gegenwärtige Regierung zu stürzen oder auch nur mit politischen Mitteln zu spalten. Daran sind Sie schon im Bürgerkrieg gescheitert. Aber Sie sammeln trotzdem eine Armee um sich, oder? Und deswegen brauchen Sie Booth – um Ihre Soldaten zu begeistern und zu motivieren. Um ihnen zu demonstrieren, dass es eine direkte Beziehung zwischen dem Bürgerkrieg und dem gibt, was Sie vorhaben!«
Erneut nickte Balthassar. »Gut, weiter!«
»Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass Sie es auf eine Armeestärke bringen, die ausreicht, um es mit den Unionsstreitkräften aufzunehmen. Nicht nach so kurzer Zeit. Nicht, nachdem Sie den letzten Krieg verloren haben. Also brauchen Sie die Soldaten für einen anderen Zweck.« Seine Gedanken rasten. »Aber wofür? Wenn die Armee nicht auf US -amerikanischem Boden kämpfen soll, dann soll sie wahrscheinlich in ein anderes Land einfallen.« Sherlock rief sich die Landkarten in Erinnerung, die er an Bord der
SS Scotia
studiert hatte. »Mexiko?«, versuchte er sein Glück.
Balthassar schüttelte den Kopf. »Gut geraten, aber falsch. Das hat man vor ein paar Jahren schon mal probiert, aber der Plan ist wegen mangelnder Unterstützung gescheitert. Außerdem ist es in Mexiko sehr heiß und trocken, und zudem hat Mexiko eine eigene Armee, die uns Widerstand leisten würde.«
»Was dann?«, fragte Sherlock, aber im selben Augenblick fiel ihm auch schon die Antwort ein. »Wenn Sie eine Armee haben, können Sie diese nur über eine Landgrenze irgendwo einmarschieren lassen«, überlegte er. »Die Vereinigten Staaten haben nur zwei Landgrenzen: eine zu Mexiko und eine zu …
Kanada
?«
Balthassar nickte. »Sehr gut. Ja, wir haben eine Armee aufgestellt. Eine mehrere tausend Mann starke Armee, die nicht weit von hier ihr Lager aufgeschlagen hat. Unsere Soldaten haben sich über mehrere Monate in kleinen Grüppchen hierher durchgeschlagen, um kein Aufsehen zu erregen. Mit John Wilkes Booth als Aushängeschild – als unserem
Maskottchen
, wenn du so willst – werden wir uns in Marsch setzen und den Hafen von Halifax erobern, um den Nachschub an britischen Soldaten abzuschneiden. Dann unterbrechen wir die Kommunikationsverbindungen zwischen Ost- und Westkanada, indem wir Winnipeg einnehmen. Anschließend können wir weiter ins Land vordringen und Quebec sowie das Gebiet der Großen Seen erobern. Sobald das alles geschafft ist, werden wir eine neue Nation gründen, der sich alle gleichgesinnten Konföderierten anschließen können. Mit dem garantierten und von Gott gewollten Recht, Sklaven zu halten.«
»Aber warum Kanada?«, fragte Sherlock.
»Das ist ein gutes Land, um Getreide anzubauen. Dort herrscht – zumindest an der Grenze zu Amerika – ein gemäßigtes Klima. Es gibt hervorragende Handelshäfen, keine nennenswerte Armee, die unserem Vormarsch Widerstand leisten könnte, und natürlich handelt es sich um das Territorium der Briten, unserer einstigen Verbündeten, die sich dann geweigert haben, uns im Kampf gegen die Union zu unterstützen.«
»Die britische Regierung wird Kanada niemals aufgeben«, wandte Sherlock ein und dachte dabei an Mycroft.
»Wahrscheinlich werden sie sich gar nicht großartig darum scheren«, erwiderte Balthassar mit vor Hohn triefender Stimme. »Denk nur an die großen logistischen Herausforderungen. Die Briten müssten ihre Truppen erst dreitausend Meilen über den Atlantik transportieren, um sie in die Schlacht zu führen, und wir kontrollieren auch noch die Häfen. Nein, ein paar Jahre lang wird es natürlich diplomatisches Geplänkel geben, aber wir werden über Kanada herrschen.«
»Mit Ihnen als Präsidenten?«, wunderte sich Sherlock. »Einem Mann mit Porzellanmaske?«
Bei Sherlocks letzten Worten fuhr Balthassars Kopf ruckartig zur Seite. Offensichtlich hatte Sherlock eine wunde Stelle getroffen.
»Mit John Wilkes Booth vielleicht«, antwortete Balthassar knapp angebunden. »Unter sorgfältiger Aufsicht und Medikation natürlich. Oder aber sogar mit General Robert E. Lee als Galionsfigur. Es gibt viele Kandidaten. Aber die wahre Macht wird natürlich bei mir liegen.«
Durch Balthassars plötzliche Kopfbewegung hatte sich einer der kleineren Blutegel gelöst. Er fiel von seinem Gesicht und landete mit einem leisen
Plop
auf dem Tisch. Balthassar starrte auf das Tier. »Alt geworden«, sagte er dann. »Einer meiner ältesten Diener. Ich
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