Young Sherlock Holmes 2
ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
Virginia tastete mit den Händen die Arme und Beine ihres Vaters ab. »Keine Knochenbrüche, soweit ich sagen kann«, stellte sie fest. »Wie’s mit seinen Rippen aussieht, weiß ich nicht. Obwohl es erstaunlich wäre, wenn er sich nicht ein paar gebrochen hätte. Er hat allerdings jede Menge Schnitte und Schürfwunden.«
»Er hat Glück gehabt«, bemerkte Sherlock. »Hier, so nah am Fluss, ist die Straße weicher. Wäre er früher vom Pferd gestürzt – dort, wo der Boden hart und knochentrocken ist –, könnte er jetzt auch tot sein.«
Virginia nahm ihm das Taschentuch ab und wischte Crowe damit behutsam über die Stirn. Eine lange tiefe Schramme kam zum Vorschein, die sich sofort wieder mit Blut zu füllen begann.
»Da hat ihn wahrscheinlich die Kugel getroffen«, sagte Virginia.
»Doppeltes Glück: Ein paar Millimeter weiter links, und die Kugel wäre in die Schläfe eingedrungen.« Sherlock machte einen tiefen Atemzug und versuchte, seine zitternden Hände wieder unter Kontrolle zu bringen. »Wir sollten einen Arzt holen.«
Virginia schüttelte den Kopf. »Wir müssen ihn nur zurück zum Cottage bringen. Da kann ich mich um ihn kümmern. Solange er sich keine Knochen gebrochen hat, ist Ruhe alles, was er jetzt braucht.« Sie seufzte. »Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, hat er schon ganz andere Sachen überstanden.« Sie warf kurz einen Blick auf Sherlock, schaute dann weg und sah ihn schließlich noch einmal genauer an, als sie merkte, dass er über und über mit Schnittwunden, Kratzern und Beulen bedeckt war.
»Geht es dir gut?«, fragte sie.
»Beim Rugby hab ich schon Schlimmeres erlebt«, antwortete er.
Virginia runzelte fragend die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Das ist ein Spiel, das ich nicht mag und worin ich auch nicht besonders gut bin. Aber was ich eigentlich sagen will ist: Mir geht’s so weit gut.«
»Hast du ihn erledigt?«, fragte sie wütend.
»Ich hab ihn außer Gefecht gesetzt«, erwiderte Sherlock. »Aber ich denke, dein Vater und mein Bruder werden mit ihm reden wollen. Also hab ich ihn nicht mehr als nötig verletzt. Auch wenn ich durchaus Lust dazu gehabt hätte.«
»Vielleicht hättest du das tun sollen«, sagte sie finster.
Unwillkürlich musste Sherlock an die Gefährlichkeit von Kopfverletzungen denken, und er fragte: »Was, wenn dein Vater eine Gehirnerschütterung hat? Die Kugel hat ihn direkt am Kopf getroffen, und vielleicht hat er ihn sich auch gestoßen, als er vom Pferd gefallen ist.«
Virginia starrte ihn an. Sie wirkte böse, aber ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Sie war einfach nur verzweifelt.
»Wir werden bei ihm wachen müssen«, sagte sie. »Und auf Anzeichen von Schwindel, Übelkeit oder Verwirrung achten.«
»An all dem hab ich schon häufiger in meinem Leben gelitten«, sagte Crowe plötzlich mit schwacher, aber klar verständlicher Stimme. »Kann nicht gerade sagen, dass ich es genossen hätte. Aber meistens war ich selbst schuld. Beziehungsweise die Brandys, die ich davor genossen hatte. Aber diesmal kann ich wohl nichts dafür.«
»Vater!«
Mit geschlossenen Augen tastete Crowe nach Virginia und tätschelte unbeholfen ihre Schulter. »Hab mich abgerollt, als ich auf den Boden aufgeschlagen bin. Eine Technik, die mir ein Rodeoreiter in Albuquerque einmal beigebracht hat. Wenn du alle Muskeln im Körper entspannst und dich wie ein Igel zusammenrollst, kannst du vermutlich sogar noch schlimmere Stürze überleben.« Er hatte inzwischen die Augen geöffnet und warf einen Blick auf Sherlock. »Wie ich sehe, hast du diese Technik selbst schon entdeckt.« Er schwieg, schloss einen Augenblick wieder die Augen und machte langsame, tiefe Atemzüge. »Was ist mit der Kutsche passiert?«
»Sie sind entkommen«, sagte Sherlock wütend. »Mit Matty.«
»Und der Mann, der zurückgeblieben ist und mich aus dem Sattel geschossen hat?«
»Am Leben, aber bewusstlos. Ich denke, wir sollten ihn mitnehmen und verhören.«
»Ja«, sagte Crowe grimmig. »Ich denke, das sollten wir.«
Sherlock dachte einen Moment lang nach. »Ich kann ihn fesseln«, schlug er vor. »Dann legen wir ihn einfach bäuchlings über meinen Sattel. Wenn Sie so weit in Ordnung sind, um wieder zu reiten, nimmt Virginia Sandia, und ich geh zu Fuß.«
»Wir müssen schnell vorankommen«, widersprach Virginia, die aus irgendeinem Grund rot wurde und beharrlich Sherlocks Blick mied. »Wenn du zu Fuß gehst, brauchen wir zu lange. Du
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