Young Sherlock Holmes 3
sie den Schusterladen verlassen hatten, führte Crowe ihn zu einer Teestube in der Nähe, wo sie sich an einem Tisch am Fenster niederließen. Sherlock fühlte sich seltsam von der Realität entrückt. Nicht einmal eine Stunde zuvor war er durch finstere Tunnelgänge um sein Leben gerannt, und nun saß er hier im Sonnenschein und wartete darauf, dass ihm sein Kuchen gebracht wurde. Das Leben konnte zuweilen seltsam sein. Nein, dachte er, eigentlich konnte es sogar recht häufig seltsam sein.
»Was machen wir als Nächstes?«, fragte er, nachdem der Kellner ein Tablett mit Kaffee und Kuchen gebracht hatte.
»Lass uns einmal zusammenfassen, was wir wissen«, erwiderte Crowe und nahm einen Bissen von seinem Biskuitkuchen. »Zwischen der Person, die Befehle gibt, und denen, die sie ausführen, gibt es mindestens eine Doppelsicherung.«
Sherlock runzelte die Stirn. »Was meinen Sie mit Doppelsicherung?«
»Damit meine ich, dass der Mann, der Selbstmord im Diogenes Club begangen hat, die Dame mit dem Schleier nie in seinem Leben getroffen hat.
Sie
hat den Kerl mit dem Bart angeheuert und
der
dann wiederum den Mann, der bereit war, sich für die finanzielle Absicherung seiner Familie zu opfern.«
»Eventuell wurde die Frau wiederum von jemand anderem beauftragt. Vielleicht haben wir es mit einer Dreifachsicherung zu tun«, vermutete Sherlock.
»Möglich«, sagte Crowe nachdenklich. »Wer auch immer das geplant hat, geht äußerst vorsichtig vor. Sie sorgen dafür, dass niemand ihre Spur zurückverfolgen kann. Dass wir trotzdem so weit sind, haben wir nur zwei unvorhergesehenen Ereignissen zu verdanken. Erstens, dass dein Drucker den Kerl mit dem Bart erkannt hat, und zweitens dass dieser Kerl gierig genug war, der Frau, die ihn engagiert hat, zu besagtem Museum zu folgen. Unterschätze niemals die Bedeutung von Zufällen.«
»Aber wozu das Ganze?«, fragte Sherlock. »Was genau wollen sie damit erreichen?«
Crowe zuckte die Achseln. »Unmittelbares Ziel scheint es zu sein, deinen Bruder zu diskreditieren oder ihn sonstwie aus dem Weg zu räumen. Was weiterreichende Ziele anbelangt … nun, da bin ich nicht sicher. Wir brauchen mehr Informationen.«
Sherlock seufzte. Nach dem ganzen Herumgerenne hätte er eigentlich gedacht, dass er mordshungrig wäre. Aber irgendwie wollte ihm der Kuchen nicht so recht schmecken. »Was können wir tun?«, fragte er.
»So, wie ich es sehe«, begann Crowe, »haben wir drei Optionen. Erstens: Wir könnten der Polizei erzählen, was wir wissen, und nach Farnham zurückkehren, in der Hoffnung, dass der Rechtsanwalt des Diogenes Clubs Mycroft frei bekommt und seinen Namen reinwäscht.«
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür?«, fragte Sherlock.
»Gering. Die Polizei wird kaum geneigt sein, ein Verbrechen zu untersuchen, für das sie klare Beweise gegen einen bereits inhaftierten Verdächtigen hat. Und selbst bei bestem Willen kann man wohl kaum behaupten, dass unsere Story ein Selbstläufer ist. Abgesehen davon, dass uns unser Beweismittel weggeschmolzen ist.«
»Aber wir haben doch noch das Laudanum-Spray!«
Crowe zuckte die Schultern. »Könnte genauso gut Medizin sein, wie dein Bruder sagte. Und wir können das nicht so einfach mir nichts dir nichts aus dem Hut zaubern. Wir hätten es ja auch irgendwo in der nächsten Apotheke kaufen können.«
»Also, wie sieht die zweite Option aus?«
»Wir bleiben in London und sprechen mit den Vorgesetzten deines Bruders im Außenministerium –, um sie dazu zu bewegen, in Aktion zu treten und ihn rauszupauken.«
Sherlock verzog skeptisch das Gesicht. »Selbst in meinen Ohren hört sich das nicht sehr erfolgversprechend an.«
»In der Tat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn einfach im Regen stehen lassen, ist nicht gering. Ein peinlicher Vorfall, der an die Öffentlichkeit gelangt, ist das Letzte, was sie wollen.«
»Dann entscheiden wir uns also für die dritte Option«, sagte Sherlock entschlossen.
Crowe lächelte. »Du weißt ja noch nicht einmal, wie die aussieht.«
»Aber ich kann es mir denken.« Sein Blick heftete sich an Crowes trügerisch freundliche Augen. »Wir sammeln selbst genug Beweise, um Mycrofts Namen reinzuwaschen. Wir gehen zu diesem Museum in Bow und versuchen, die Frau mit dem Schleier aufzutreiben.«
Crowe nickte. »So ungefähr. Aber ehrlich gesagt, habe ich nicht viel Hoffnung, was unsere Chancen anbelangt. Es ist wirklich ein Schuss ins Blaue.«
»Warum zum Teufel gibt es niemanden, an den man sich
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