Young Sherlock Holmes 3
Raubvögel kämpfte. Der Gedanke war schlichtweg absurd – schließlich gab es keinen Grund anzunehmen, die ausgestopften Tiere seien plötzlich zum Leben erwacht und hätten ihre Schaukästen verlassen.
Aber es brachte seine Gedanken ins Kreisen. Was hatte ein lebender Falke in einem Museum zu suchen? Ja, was hatte er sogar in
London
zu suchen? Und warum waren seine Fänge mit rasiermesserscharfen Metallklingen versehen?
Auf all diese Fragen gab es nur eine Antwort: Der Vogel gehörte offensichtlich zu jemandem, und zwar zu der Person mit der Pfeife. Und diese Person benutzte das Tier, um Sherlock zu verwunden oder zu töten. Vielleicht waren ihre Gegner ihm und Amyus Crowe zum Museum gefolgt. Oder wahrscheinlicher noch diente ihnen das Museum als Hauptquartier, und sie hatten sie beide beim Betreten des Gebäudes entdeckt.
Wie zur Bestätigung dieser Hypothese durchschnitt erneut ein Pfiff die drückende Stille: drei kurze Signalstöße – ein Zeichen für den Falken. Augenblicklich vernahm Sherlock erneut das Schlagen von Vogelflügeln. Ein flackernder Schatten wurde gegen die Decke geworfen, hervorgerufen von den durch das Oberlicht einfallenden Sonnenstrahlen, die an der Oberfläche einer Glasvitrine reflektiert wurden und vom fliegenden Vogel unterbrochen worden waren.
Und dann wieder Stille.
So leise wie möglich bewegte sich Sherlock auf die Tür zu, durch die er gekommen war. Unablässig ließ er den Blick in alle Richtungen gleiten, um herauszufinden, aus welcher Ecke der nächste Angriff erfolgen würde.
Staub kitzelte ihn in der Nase. Er spürte, dass er niesen musste. Mit aller Kraft hielt er sich die Nase zu und drückte so lange weiter, bis der Drang verebbte. Das Letzte, was er wollte, war, die Aufmerksamkeit des Falken auf sich zu lenken.
Während er sich so umblickte, wurde ihm plötzlich klar, dass er nicht mehr genau wusste, wo er sich befand. Die Vögel in den Kästen um ihn herum erkannte er nicht. Er hielt sie zunächst für Adler. Aber ihre Federn waren überwiegend weiß, und um den Hals trugen sie etwas, das wie eine Halskrause aussah.
An diesen Exponaten war Sherlock auf dem Hinweg nicht vorbeigekommen. Irgendwo musste er den richtigen Weg verpasst haben und falsch abgebogen sein.
Weitergehen oder umkehren?
Er entschied sich fürs Weitergehen. Mit ein bisschen Glück würde er einen anderen Ausgang finden.
Andernfalls würde der Falke
ihn
finden. Oder sein Besitzer.
Während er sich vorsichtig weiterbewegte, musterte er argwöhnisch die Schaukästen in seiner Umgebung. Der unmittelbar zu seiner Linken beherbergte einen braunen Raubvogel mit scharfem Schnabel. Sherlocks Blick wanderte weiter, und er ging vorbei. Doch irgendwo in seinem Hinterkopf begann plötzlich so etwas wie eine Alarmglocke zu läuten. Sherlock machte zunächst die Ähnlichkeit zwischen dem Vogel im Schaukasten und dem Falken dafür verantwortlich, der ihm fast die Augen herausgerissen hätte. Doch als er sich umschaute, sah er, wie der Vogel im Kasten den Kopf wandte, um ihn anzusehen. Im selben Augenblick erkannte Sherlock, dass sich das Tier überhaupt nicht im Kasten befand. Dass die Glasvitrine leer war und er nur durch sie
hindurch
blickte: und zwar auf den Vogel, der auf einem Mauersims dahinter hockte.
Der Falke sprang auf und erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft. Einen Augenblick lang schien er über dem leeren Schaukasten in der Luft zu schweben, bevor er sich wieder auf Sherlock stürzte.
Er riss die Hände hoch und hielt sich die gekreuzten Unterarme schützend vors Gesicht.
Ein Wirbel von Klauen und Schwingen hieb auf Sherlock ein. Die mit Metallklingen versehenen Klauen kratzten, Halt suchend, über seine Arme, richteten zunächst jedoch nicht mehr Schaden an, als die Jackenärmel zu zerfetzen. Die Schwingen schlugen ihm um die Ohren: mächtige Hiebe, wie die eines Boxers. Dann drang eine der Klauen durch den Jacken- und Hemdärmel: Er spürte, wie ihm eine glühendheiße Linie den Arm entlangfuhr, gleich darauf gefolgt von einer warmen, feuchten Flut, die den Kleiderstoff tränkte.
Instinktiv hatte er die Augen geschlossen, als der Vogel angegriffen hatte. Doch als er sie wieder öffnete, stellte er fest, dass sich dessen Kopf nur Zentimeter von seinem eigenen entfernt befand. Mit den Bewegungen seiner Fänge um Gleichgewicht bemüht, ging der Falke etwas auf Distanz und schickte sich an, seinen scharfkantigen Schnabel in Sherlocks rechtes Auge zu hacken. Wütend und
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