Young Sherlock Holmes 3
Seite.
Als er auf die Bühne kam, stellte er überrascht fest, dass sie eine leichte Neigung aufwies. Vorne am Rand war sie etwa dreißig Zentimeter tiefer als hinten. Wahrscheinlich, so überlegte Sherlock, bekam das Publikum durch die Neigung einen besseren Blick auf das, was auf der Bühne vor sich ging. Vor allem galt das wohl für die Leute ganz vorne auf den billigeren Sitzen, von denen einige sogar den Kopf in den Nacken legen mussten, um zu den Schauspielern hochzublicken.
Der Bühnenrand war von Gaslampen mit Reflektoren gesäumt, und in der Bühnenmitte befand sich eine Falltür.
Von allen beäugt, überquerte Sherlock die Bühne und steuerte auf Mycroft zu.
»Ich habe Sie bereits mit Rufus Stone bekannt gemacht, der die Violine im Orchestergraben spielen wird«, sagte Mycroft würdevoll. »Erlauben Sie mir nun, Ihnen meinen Protegé vorzustellen, Master Scott Eckersley. Mit der freundlichen Erlaubnis von Mister Kyte wird sich Scott dem Theater als Mädchen für alles anschließen.« Er wandte sich Sherlock zu. »Scott, erlaube mir, dich mit dem Ensemble und der Bühnencrew bekannt zu machen.« Er wies auf einen großen Mann mit langen blonden Haaren, die aus einer breiten Stirn zurückgebürstet waren. »Das ist Mr Thomas Malvin. Er ist der Hauptdarsteller des Ensembles.«
Malvin bedachte Sherlock mit einem Nicken, ohne ihn wirklich eines Blickes zu würdigen.
»Und dies«, fuhr Mycroft fort und wies auf eine schöne blasse Frau mit grünen Augen und rabenschwarzen Haaren, die Sherlock anlächelte, »ist Miss Aiofe Dimmock. Sie spielt die romantischen weiblichen Hauptrollen an der Seite von Mr Malvin.«
Sherlock erwiderte das Lächeln. Aiofe musste mindestens zehn Jahre älter sein als er, aber da lag etwas in ihrem Lächeln und den grünen Augen, das sein Herz einen Schlag aussetzen ließ.
Sherlock wandte mit Gewalt den Blick von Aiofe Dimmock ab, um Mycrofts ausholender Geste zu folgen. »Mr William Furness und Mrs Diane Loran, die die beiden Hauptdarsteller mit unschätzbar wertvollen Nebenrollen unterstützen«, sagte er.
William Furness war ein korpulenter Mann, an dessen Hinterkopf sich von Ohr zu Ohr ein feiner Kranz schwarz gefärbter Haare zog. Er hatte eine geschwollene Knollennase, und auf seinen Wangen zeichnete sich das typisch rote Äderchengeflecht eines schweren Trinkers ab. Vermutlich würde es von Make-up überdeckt werden, wenn er vor Publikum auftrat. Aber es gab wohl nicht viel, was die blumenkohlförmige Nase verbergen konnte, abgesehen natürlich von der Entfernung. Er hob zwei Finger in gespieltem Salut an die Stirn. Mrs Loran war eine matronenhafte Frau, die ihre Haare zu einem Knoten hochgesteckt hatte. Sie sah aus, als würde sie sich eher in einer Küche als auf der Bühne zu Hause fühlen. Sie bedachte Sherlock mit einem warmen Lächeln, und er vermutete, dass sie ihn bei geringerer Distanz womöglich sogar umarmt hätte.
»Zusammen mit Mr Kyte«, fuhr Mycroft fort, »der sowohl meist zusammen mit Mr Malvin und Miss Dimmock auf der Bühne agiert als auch das Ensemble leitet, gehören diese vier zu den Hauptdarstellern. Die anderen, die du hier siehst, treten als Statisten in Massenszenen auf und übernehmen kleinere Rollen, wenn sie nicht hinter der Bühne benötigt werden, um Kulissen zu verschieben. Von links nach rechts haben wir hier Rhydian, Judah, Pauly und Henry.«
Sherlock nickte den vier Jungen zu, die in etwa in seinem Alter waren und hinter den Hauptdarstellern standen. Der dunkelhaarige Rhydian hatte ein spitzes Kinn und buschige Augenbrauen und war ziemlich dünn. Judah war es ebenfalls. Doch sein Haar war so bleich und fein, dass es fast weiß wirkte und um seinen Kopf zu schweben schien. Zudem wiesen seine Augen eine hellrosa Färbung auf. Pauly und Henry waren Zwillinge. Beide waren muskulös und hatten braune Augen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass Pauly – jedenfalls vermutete Sherlock, dass es sich um Pauly handelte – wohl irgendwann bei einem Unfall den kleinen Finger an der linken Hand verloren hatte.
Plötzlich ertönte ein Husten von der Bühnenseite. Sherlock spähte in das schattige Dunkel, konnte aber nur die Umrisse eines groß gewachsenen Mannes ausmachen, dessen Mund von einem dicken schwarzen Schnurrbart verdeckt zu sein schien. Fast sah es so aus, als würde er sich zurücklehnen, während er so mit den Händen in den Taschen dastand und die Leute auf der Bühne anstarrte. Seine Augen funkelten in der
Weitere Kostenlose Bücher