Young Sherlock Holmes 3
Plan, dich nach Russland mitzunehmen.«
»Er hat gesagt, dass ihr euch gestritten habt.«
»Haben wir. Er hat seinen Standpunkt sehr energisch vertreten. Was dich anbelangt, so hat er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, weißt du.«
»Während des letzten Jahres haben wir viel zusammen durchgemacht.«
»In der Tat.« Mycroft ließ das Stückchen Fisch in seinem Mund verschwinden und kaute einen Moment lang mit geschlossenen Augen. »Herrlich zubereitet. Die Buttersauce ist exquisit. Ich sollte mir den Ort hier merken. Es ist nicht so weit von meinem Büro entfernt, dass ich nicht regelmäßig mein Mittagessen hier einnehmen könnte.«
»Mycroft, bist du wirklich sicher, dass wir inkognito nach Russland reisen sollten?«
»Ich habe die Angelegenheit sorgfältig durchdacht, und ich sehe keine andere Möglichkeit.«
Er sah auf seine Uhr. »Das dritte Mitglied unserer Expedition sollte jeden Moment zu uns stoßen. Ich habe ihm vorhin ein Telegramm geschickt.« Er warf Sherlock einen kurzen Blick zu. »Es gibt da etwas, bei dem ich dich vorwarnen sollte. Ich sagte doch, dass es sich bei diesem Mann um einen meiner Agenten und zugleich um einen Violinisten handelt?«
»Ja, und?«
»Was ich nicht gesagt habe, ist, dass du ihn bereits kennst.«
Sherlock vernahm die Worte, ohne sie zu verstehen. »Ich kenne ihn? Aber ich kenne keinen einzigen deiner Agenten. Ich bin nie einem begegnet – mit Ausnahme vielleicht von Mr Crowe. Aber ich glaube nicht, dass der zu deinen Agenten zählt.«
»Nein, tut er definitiv nicht.« Mycrofts Gesicht nahm die Züge eines Mannes an, der sich anschickte, eine schlechte Nachricht zu überbringen. »Sherlock«, sagte er, während er den Blick hob, um an seinem Bruder vorbeizublicken. »Ich glaube, du kennst Rufus Stone bereits.«
Sieben Worte. Sieben einfache Worte, die wie Steine in den tiefen Brunnen von Sherlocks Seele zu fallen schienen. Er spürte, wie sie auf der Oberfläche aufschlugen und schockartige Wellen in sein Innerstes aussandten, noch lange nachdem Mycroft zu Ende gesprochen hatte. Er wandte den Kopf, um zu sehen, auf wen Mycroft den Blick richtete. Der logisch-analytische Teil seines Geistes wusste bereits alles. Doch der andere Teil, der emotionale, der immer noch dem vierzehnjährigen Jungen gehörte, der er war, hoffte, dass es nicht wahr sein würde. Dass, wer immer auch hinter ihm stand, ihm völlig fremd wäre.
Aber so war es nicht. Und jener Teil, der von dem vierzehnjährigen Jungen übrig geblieben war, schrumpfte noch ein bisschen weiter zusammen, als es ohnehin schon der Fall gewesen war.
Rufus Stone stand hinter ihm. Rufus Stone mit seinem ungekämmten braunen Haar, dem stoppeligen Kinn und der grünen Samtjacke. Er trug einen Goldring im Ohr. Und es schien, als würde er sich nicht wohl in seiner Haut fühlen. Als wünschte er sich verzweifelt anderswohin, irgendwohin, Hauptsache an einen anderen Ort. Sherlock jedenfalls ging es so.
»Setzen Sie sich«, forderte Mycroft Rufus Stone auf. »Hallo, Sherlock«, sagte Stone, als er Platz nahm.
»Sie arbeiten für meinen Bruder?«, fragte Sherlock. »Warum haben Sie mir das nie gesagt?«
»Weil ich ihm befohlen habe, das nicht zu tun«, erwiderte Mycroft. »Als wir vor ein paar Monaten beschlossen, Amyus Crowe und dich nach Amerika zu schicken, hegte ich die Befürchtung, dass Mr Crowe unversehens anderweitig von Nebengeschäften in Anspruch genommen werden könnte. Oder dass er plötzlich womöglich zu der Erkenntnis gelangt, sein Vaterland so sehr zu lieben, dass ihm eine Rückkehr nach England unmöglich ist. Ich habe Mr Stone eine Passage auf dem gleichen Schiff besorgt, um dich im Auge zu behalten. In New York sollte er dich beschatten und aufpassen, dass dir nichts passiert.« Er schnaubte. »Das hat natürlich nicht so geklappt, wie ich gedacht hatte. Dank deiner Rettungsaktion, bei der du den Entführern des jungen Matthew Arnatt einfach so mir nichts dir nichts in einem Zug ins Nirgendwo gefolgt bist.«
»Sie arbeiten für meinen Bruder!«, wiederholte Sherlock. Der Gedanke war wie ein riesiges Hindernis, das die Mitte seines Geistes einnahm und einfach zu hoch war, um darüber hinwegzuklettern.
»Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen«, fuhr Mycroft fort, »dass der Violinenunterricht
nicht
zu seinen Instruktionen gehörte.«
»Nein, das war meine Entscheidung«, sagte Stone. »Und ein Vergnügen für mich.«
»Aber was machen Sie für Mycroft?«, fragte Sherlock.
Rufus Stone zuckte die
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