Young Sherlock Holmes 4
das, was gesagt wird. Wenn er also vergiftet wurde, dann muss ich es getan haben. Das leuchtet ein, oder?«
»Aber andere Leute müssen doch bestimmt auch mit seinem Essen in Berührung gekommen sein, es serviert oder Zugang dazu gehabt haben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sir Benedict war sehr … misstrauisch. Er glaubte, dass seine Geschäftskonkurrenten darauf aus waren, ihn zu vernichten. Er war überzeugt, dass sie ihm zu Leibe rücken oder sein Essen vergiften würden, falls sich ihnen eine Gelegenheit bot. Überall im Haus waren Wachen postiert, um zu verhindern, dass jemand eindrang oder Feuer legte. Und er hatte stets einen Leibwächter dabei, wenn er das Haus verließ. Sämtliche Fenster und Türen waren verschlossen und verbarrikadiert. Und die einzige Person, der er in Bezug aufs Kochen und Servieren vertraute, war ich.« Sie gab einen stillen Seufzer von sich. »Manchmal war es wie in einem Gefängnis, und trotzdem war ich glücklich dort. Ich habe eine lange Zeit für ihn gearbeitet, und er wusste, dass ich niemals etwas unternehmen würde, um ihm etwas anzutun. Außerdem hat er in seinem Testament verfügt, dass ich
fünfhundert
Pfund erben würde, sollte er eines natürlichen Todes sterben. Das Gleiche galt für den Butler, die Hausmädchen, den Gärtner und auch all die Wachen, die er angeheuert hatte.« Sie schniefte. »Er wusste, dass niemand einen von uns bestechen könnte, um ihm Leid anzutun oder jemanden ins Haus zu lassen.« Wieder schniefte sie. »Nicht dass das Geld der Grund war, warum ich ihm nichts hätte zuleide tun können.«
»Sie haben also sein Essen zubereitet – höchstpersönlich – und es ihm auch serviert? Ganz allein?«
»Das ist richtig«, bestätigte sie. »Und ich habe auch selbst alle Zutaten besorgt. Sämtliche Kräuter, das ganze Gemüse und die Milch auf dem Markt gekauft, das Fleisch von den Metzgerständen besorgt. Und ich habe auch das Brot für ihn selbst gebacken.«
»Wenn also das Fleisch oder das Gemüse vergiftet gewesen wären, hätte auch jemand anderes in der Gegend sterben müssen – was nicht der Fall war.«
»So ist es, Sir, und das ist auch der Grund, warum ich jetzt hier bin und dem Galgen entgegensehe.«
Sherlock blickte auf seine Uhr. Die Zeit verrann. In nur wenigen Stunden würde Bryce Scobell sich mit Gahan Macfarlane treffen. »Und sind der Markt und die Fleischerstände die einzigen Orte, wo Sie die Zutaten besorgt haben?«
»Ja«, begann sie, doch dann hielt sie zögernd inne. »Das heißt außer hin und wieder einem Kaninchen. Die fängt der Gärtner in Fallen. Er bringt sie mir immer, die Körper meist noch warm, und ich enthäute sie und weide sie aus. Sir Benedict wusste ein schönes Stück Kaninchenfleisch in Sahnesenfsauce sehr zu schätzen … hat er mehrmals die Woche bestellt.« Den Tränen nahe gab sie erneut ein Schniefen von sich. »Das war es, was ihn ihrer Vermutung nach umgebracht hat. Sie haben einen Hund mit den Resten seines Mahls gefüttert, und der ist auch gestorben.«
»Interessant. Seine letzte Mahlzeit war also Kaninchen in Sahnesenfsauce?«
Sie nickte.
»Und Sie haben alles selbst zubereitet?«
»Das stimmt. Ich habe die Sahne auf dem Markt gekauft, zusammen mit den Senfkörnern. Der Gärtner hat mir höchstpersönlich das Kaninchen gebracht. Es war noch warm, also wusste ich, dass es gerade erst getötet worden war.«
Sherlock zerbrach sich das Gehirn nach weiteren Fragen. Aber so spontan kam ihm nichts mehr in den Sinn. Er betrachtete die Frau, wie sie so auf der harten Eisenpritsche saß, das Gesicht verweint, von Gram gezeichnet und dennoch hoffnungsvoll. Sie war auf ihn angewiesen, darauf, dass er ihre Unschuld bewies. Genauso wie Amyus Crowe, Virginia, Matty Arnatt und Rufus Stone auf ihn angewiesen waren. Er konnte sie nicht im Stich lassen. Allerdings konnte er auch nicht erkennen, wie Aggie Macfarlane etwas anderes als schuldig sein konnte. Wenn das, was sie ihm erzählt hatte, der Wahrheit entsprach, sah Sherlock keine andere Möglichkeit, als dass das Essen vergiftet gewesen war. War Aggie Macfarlane jedoch tatsächlich schuldig, hätte sie ihm dann nicht eine Lüge aufgetischt, die es möglich erscheinen ließe, dass das Essen von jemand anderem vergiftet worden war? Es war unwahrscheinlich, dass sie sich allein um ihrer Ehrlichkeit willen verurteilen und hängen lassen würde.
»Ich muss mir das Haus ansehen«, brachte er lahm hervor. »Um einen Blick auf den … den Tatort zu werfen.
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