Zähl nicht die Stunden
Baseball hin und her. Mein Vater saß auf dem Steg und las seine Zeitung. Meine
Mutter lag in der Sonne. Doch dann fing es an zu regnen und hat
bestimmt drei Tage lang nicht wieder aufgehört. Uns hat es nichts
ausgemacht, aber meine Mutter ist völlig durchgedreht. Ich kann sie immer noch zetern hören. ›Wir haben doch das ganze Geld nicht
ausgegeben, um den lieben langen Tag in einer verdammten hässlichen
Hütte zu hocken !‹ Und dann fiel sie über jeden her, der gerade in ihrer Nähe saß, und das war meistens Luke. ›Leg das verdammte Buch weg.
Was bist du bloß für ein Junge? Etwa so eine Schwuchtel?‹« Jake
schüttelte den Kopf, so als wollte er die unangenehme Erinnerung
abschütteln.
»An einem dieser verregneten Tage saßen Luke und ich jedenfalls am
Küchentisch und spielten Monopoly. Meine Mutter langweilte sich und war gereizt und fing an, auf Luke rumzuhacken, sie höhnte, dass er
seinen kleinen Bruder nicht einmal bei einem einfachen Brettspiel
besiegen könnte, der übliche Mist halt, der schon, so lange wir uns erinnern konnten , aus ihrem Mund quoll. Und Luke saß einfach da , nahm es wie immer hin und wartete, dass der Sturm wieder abflaute.
Normalerweise ging ihr nach einer Weile der Dampf aus, doch sie war wütend , weil mein Vater in die Stadt gefahren war , und sie hatte getrunken. Als Luke nicht reagierte, nahm sie seine ordentlich sortierten kleinen Spielgeld-Häufchen vom Tisch und warf sie in die Luft. Luke rührte sich nicht, sondern saß bloß da und warf mir diesen winzigen Blick zu, den wir uns immer zuwarfen , wenn es besonders schlimm wurde – es war eine Art Zeichen zwischen uns, dass wir die Sache unter Kontrolle hatten. Was natürlich nicht der Fall war.«
»Was ist passiert?«
»Sie fing an, Luke einen Schwulen und widerlichen Homo zu nennen , jedes nur erdenkliche Schimpfwort warf sie ihm an den Kopf. Ich
erklärte ihr , sie solle den Mund halten , was ihre Wut normalerweise auf mich umlenkte, zumindest ein paar Minuten lang, doch dieses Mal
beachtete sie mich gar nicht. Ich meine, sie kochte vor Wut, sie war regelrecht in Rage. Sie warf Karten, Würfel und Spielgeld in der ganzen Hütte herum, bevor sie schließlich das Brett nahm und Luke damit auf den Kopf schlug.
Keine Reaktion. Er hat nicht mal die Hand gehoben , um den Schlag abzuwehren. Er hat mir nur erneut diesen winzigen Blick zugeworfen.
Und das hat meine Mutter mitbekommen , was sie natürlich noch wütender gemacht hat. Sie nahm eine KetchupFlasche , die auf der Anrichte stand , und warf sie an seinen Hinterkopf.«
»Mein Gott.«
Jake folgte der Szene, die sich vor seinem inneren Auge abspulte wie ein Film im Fernsehen, schilderte sie in Echtzeit weiter. »Die Flasche prallte von seinem Hinterkopf ab, fiel auf den Boden und zerbrach. Alles war voller Ketchup. Meine Mutter schrie Luke an, er solle das sauber machen. Und Luke erhob sich ganz langsam vom Tisch, langsamer, als
ich ihn je hatte aufstehen sehen, und ich dachte , das ist es , jetzt bringt er sie um. Er bringt sie um.
Doch stattdessen nahm er einfach ein paar Papiertücher von der
Anrichte und fing an, die Sauerei wegzumachen. Und er hörte nicht auf, bis er nicht jede winzige Scherbe aufgehoben und jeden Klecks Ketchup vom Boden, vom Tisch und sogar von den Wänden gewischt hatte. Und
meine Mutter stand die ganze Zeit da, lachte ihn aus und nannte ihn immer wieder eine dumme Schwuchtel. Er hockte auf allen Vieren und
warf mir erneut diesen winzigen Blick zu, und ich wusste, dass er wollte, dass ich ihn erwidere, aber ich konnte nicht. Ich war so angeekelt von ihm, ich schämte mich so für ihn, ich war so wütend auf ihn, weil er sie nicht umgebracht hatte, dass ich dachte, ich müsste platzen. Willst du wissen, was ich getan habe?«
Mattie sagte nichts, sondern sah Jake nur mit diesen wundervollen
blauen Augen an, Augen, die ihm sagten, dass es in Ordnung war, dass sie verstand. Auch wenn er selbst es nicht begreifen konnte.
»Ich habe ihn eine dumme Schwuchtel genannt und bin weggelaufen.«
Mattie hielt den Blick unbeirrt auf ihn gerichtet , selbst als die ersten Tränen über ihre Wangen kullerten.
»Und meine Mutter hat den Kopf in den Nacken geworfen und
gelacht«, fuhr Jake fort, der dieses triumphierende Gelächter bis heute hören konnte, ein grausamer Widerhall seines Verrats. »Ich bin nach
draußen in den strömenden Regen gelaufen und immer weiter gerannt,
bis ich nicht mehr konnte. Dann habe ich mich
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