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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Centre Pompidou ist mit seiner High-Tech-Architektur nicht nur eines der markantesten Bauwerke, die die umfangreiche
    Modernisierung des Pariser Stadtbildes in den vergangenen zwanzig
    Jahren repräsentieren‹«, las er, »›sondern auch ein Zentrum ständig wechselnder kultureller Angebote und Aktivitäten mit Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, Architektur, Design, Fotografie, Theater, Film und Tanz, während das hoch aufragende Gebäude selbst einen
    spektakulären Blick über das Zentrum von Paris bietet.‹«
    Mattie ließ schon in Erwartung all dieser Anstrengungen die Schultern sacken. Bildende Kunst, Architektur, Design, Fotografie, Film, Theater , Tanz – die Worte klatschten mit der gleichen achtlosen Präzision gegen ihren Schädel wie der Regen gegen die Fenster.
    »›Wir empfehlen eine Fahrt mit der durchsichtigen Rolltreppe für
    einen Blick aus der Vogelperspektive auf die Piazza‹«, las Jake weiter,
    »›wo Musiker, Straßenkünstler und Porträtmaler für die wimmelnden
    Menschenmassen ihrer Kunst nachgehen.«
    Rolltreppen, Vogelperspektiven ,
    Straßenkünstler, wimmelnde
    Menschenmassen, wiederholte Mattie stumm, und mit jedem neuen Bild
    wurde ihr ein wenig schwindeliger.
    »Da es regnet«, fuhr Jake fort, »können wir auch ein Taxi bis zur Galerie nehmen und zunächst die Innenräume besichtigen. Vielleicht hat es aufgehört zu regnen, bis wir fertig sind, und wir können nach draußen gehen und uns porträtieren lassen.« Er hielt inne und riss besorgt seine dunkelblauen Augen auf. »Mattie, stimmt irgendwas nicht?«
    »Ob was nicht stimmt?« Mattie spürte, wie ihr die Kaffeetasse aus der Hand zu gleiten drohte. Sie versuchte, das feine Porzellan fest zu halten, doch ihre Finger weigerten sich, fester zuzugreifen. Mattie malte sich aus, wie ihr die Tasse entglitt und auf dem Marmorfußboden zerschellte, und wartete hilflos darauf, dass dieses Bild Wirklichkeit wurde.
    Plötzlich waren Jakes Hände auf ihren. Ohne den Blick eine Sekunde
    von Mattie zu wenden, hielt er die Tasse fest, bevor sie fallen konnte, und stellte sie auf die Untertasse, ehe ein Tropfen der schlammig
    braunen Flüssigkeit das dicke weiße Tischtuch beschmutzen konnte. »Du bist blass wie ein Gespenst.«
    »Alles in Ordnung.«
    »Es ist nicht alles in Ordnung. Was ist los, Mattie? Was erzählst du mir nicht?«
    Mattie schüttelte trotzig den Kopf. »Ehrlich, Jake, mir geht es gut. Ich bin nur ein wenig müde«, räumte sie widerwillig ein, als sie erkannte, dass es zwecklos war, weiter zu leugnen.
    »Wenn du sagst, du wärst ein wenig müde, heißt das, du bist völlig
    erschöpft«, übersetzte Jake. »Die Franzosen sind nicht die Einzigen, die die Kunst der Untertreibung beherrschen.«
    Lächelnd gestand Mattie ihre Kapitulation ein. »Ich habe letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn ich den Vormittag frei nehme.« »Großartige Idee. Wir gehen
    wieder nach oben und legen uns hin, bis es aufgehört hat zu regnen. Ich habe selbst auch nicht so gut geschlafen.«
    »Du hast geschlafen wie ein Baby.«
    »Dann gucke ich dir beim Schlafen zu.«
    Mattie streckte ihren Arm aus und strich mit ihren zunehmend
    nutzlosen Fingern über die Wange ihres Mannes. Wie lange würde es
    dauern, bis sie ihn nicht mehr so berühren konnte? Wie lange, bis ihr selbst die kleinste Zärtlichkeit verwehrt blieb? »Ich möchte , dass du ins Centre Pompidou gehst« , erklärte sie ihm.
    »Nicht ohne dich« , kam die prompte Antwort.
    »Jake, es ist albern, wenn wir es beide nicht sehen.«
    »Dann gehen wir eben morgen.«
    »Nein, du gehst heute Vormittag«, beharrte Mattie. »Wenn es gut ist, sehen wir es uns nächstes Jahr gemeinsam an. Mit Kim«, fügte sie hinzu, als ihr das Telefonat mit ihrer Tochter wieder einfiel.
    Jake führte Matties Hand an seinen Mund und küsste nacheinander
    jeden Finger. »Ich glaube, sie würde die Stadt lieben.«
    »Und du, wirst du sie auch bestimmt hierher bringen?«, sagte Mattie leise und flehend.
    »Ich werde sie ganz bestimmt hierher bringen«, versprach Jake
    flüsternd.
    Ein paar Minuten saßen sie schweigend beieinander. »Du solltest dich auf den Weg machen«, sagte Mattie schließlich.
    »Ich begleite dich erst noch nach oben.«
    »Das ist nicht nötig.«
    »Mattie, ich gehe nirgendwohin, bevor ich dich nicht sicher unter
    deiner Bettdecke weiß.«
    »Ich bin kein Krüppel , Jake«, fauchte Mattie , und ihre unvermittelte Schroffheit

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