Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
Vom Netzwerk:
sagte Mattie zu Chloe Dorleac und winkte müde ab.
    Die Drachenfrau beachtete sie gar nicht, sondern lachte laut in den Hörer, obwohl sich ihr Mund kaum bewegte. Ihr Lachen verfolgte
    Mattie bis zu dem kleinen schmiedeeisernen Käfig der Fahrstuhlkabine und durch den Schacht bis in den zweiten Stock. Es verfolgte Mattie in ihr Zimmer und bis in ihr Bett, wo es dem Regen Konkurrenz machte,
    während Mattie die Augen schloss und sich erschöpft dem Schlaf ergab.
    30

    In ihrem Traum rannte Mattie, um Jake auf dem Are de Triomphe zu
    treffen. Jake hatte sie ermahnt, nicht zu spät zu kommen. Mattie sah auf die Uhr und stieg in ein Taxi, das auf dem Place de la Concorde
    feststeckte.
    »Vite! Vite!«, wies Mattie den Fahrer an.
    »Hack! Hack!«, kam die Antwort vom Fahrersitz. »Wussten Sie, dass
    König Ludwig XVI. und Marie Antoinette während der Französischen Revolution auf diesem Platz guillotiniert wurden? Genau genommen
    haben zwischen 1793 und 1795 insgesamt 1300 Menschen an genau
    dieser Stelle den Kopf verloren.«
    »Mein Vater hat seinen Kopf verloren , als ich acht Jahre alt war« , sagte Mattie. »Meine Mutter hat ihn abgeschnitten.«
    Plötzlich war Mattie nicht mehr in dem Taxi , sondern rannte über den bevölkerten Bürgersteig der Champs Elysées. Sie sah erneut auf die Uhr und bemerkte, dass sie nur noch zwei Minuten Zeit hatte, um zum Ende der breiten Allee zu gelangen, deren Name übersetzt elysische, also himmlische Felder bedeutete , die jedoch mittlerweile Heimstatt einer unschönen Ansammlung von Fast-Food-Restaurants , Autosalons und Fluggesellschaftsbüros geworden war. »Verzeihung«, sagte sie, als sie eine Frau mit einem weichen beigen Hut anrempelte.
    »Wozu die Eile?«, fragte die Frau, als Mattie an ihr vorbeistürmte.
    »Der Are de Triomphe wurde 1806 von Napoleon in Auftrag
    gegeben, jedoch erst dreißig Jahre später fertig gestellt«, hörte Mattie einen Touristenführer in der drängelnden Menge auf Englisch rufen,
    während sie den beschwerlichen Aufstieg zur Spitze des imposanten
    Bauwerks begann. »Hat irgendjemand meinen Mann gesehen?« , fragte sie eine Gruppe von Touristen, die die steinerne Wendeltreppe
    heruntergerannt kamen.
    »Sie haben ihn knapp verpasst« , sagte eine Frau mit rotem lockigem Haar. »Er ist zum Centre George Pompidou gefahren.«
    Eine Truppe lärmender Schüler hob Mattie auf ihre Schultern und
    trug sie wieder nach unten , wo sie prompt verschwanden und Mattie allein in einem kleinen fensterlosen Raum zurückließen. »Hilfe« , rief sie und warf ihren Körper ohnmächtig gegen die schwere Eisentür. Doch je verzweifelter ihre Anstrengungen , desto schwächer wurde ihre Stimme , und bald hörte man nur noch den Widerhall ihres gegen die kalten
    Steinmauern schlagenden Körpers.
    Klopf, klopf.
    Wer ist da?
    Klopf. Klopf.
    Qui est là?
    Klopf. Klopf.
    Mattie öffnete die Augen. Ihr Atem ging schwer, und ihre Stirn war
    mit winzigen Schweißperlen bedeckt. Gott, wie sie solche Träume hasste.
    Sie richtete sich auf und starrte zum Fenster. Es regnete noch immer, dachte sie und stellte fest, dass sie nicht einmal eine Stunde geschlafen hatte. Wahrscheinlich sollte sie sich wieder hinlegen und versuchen , noch ein weiteres Stündchen zu schlafen , damit sie auf jeden Fall ausgeruht war, wenn Jake zurückkam.
    Klopf. Klopf.
    Es war gar nicht ihr Traum, merkte Mattie. Vor der Tür stand
    tatsächlich jemand. »Ja? Qui ? Wer ist da? Qui est la ?« Wahrscheinlich die Putzfrau, dachte sie und fragte sich, warum die Frau nicht einfach ihren Schlüssel benutzte. Vielleicht auch Jake - vielleicht hatte er seinen vergessen. Mattie schwang ihre Beine seitlich aus dem Bett. »Mattie?« , fragte die Stimme, und Matties Hand erstarrte am Türknauf.
    Sie öffnete und sah sich einer Vision aus feuchten roten Locken
    gegenüber.
    »Scheußlicher Morgen« , sagte die Frau , strich ein paar Regentropfen von den Schultern ihrer dunkelblauen Jacke und sah Mattie aus
    goldfleckigen braunen Augen an. »Ich habe versucht auszugehen , aber ich musste zurückkommen. Es ist unglaublich da draußen. Ich bin’s.
    Cynthia« , sagte sie beinahe so , als ob das eine Frage wäre. »Cynthia Broome? Die Drachenfrau hat gesagt, dass Sie mich gesucht haben.«
    Mattie machte einen Schritt zurück und lud die andere Frau mit einer Handbewegung in das kleine Zimmer , wo sie mit dem Kopf auf einen wackeligen Holzstuhl am Fenster wies. »Ich habe nach Ihnen gefragt, ja.«
    Mattie ließ sich

Weitere Kostenlose Bücher