Zähl nicht die Stunden
vergessen – , und diese junge Frau, diese Röntgenassistentin mit dem blumigen Namen, Noreen Aliwallia, die aussah, als hätte sie gerade die High School hinter sich, verfrachtete sie auf diesen schmalen Tisch und stülpte ihr einen sargähnlichen Kasten über den Kopf.
Der MRT war eine enge Röhre aus dickem Stahl. Er nahm den
größten Teil des kleinen fensterlosen Raums mit den kahlen schmuddelig weißen Wänden ein. Am Eingang zur Röhre befand sich ein rechteckiger Kasten mit einem kreisrunden Loch. Man gab Mattie ein Paar
Ohrstöpsel – »es wird ein bisschen laut werden , da drinnen« – und legte rechts und links von ihrem Kopf je ein Polster , um den Kopf zu fixieren.
Dann drückte man ihr noch einen Summer in die Hand , den sie betätigen sollte , wenn sie niesen oder husten oder sonst etwas tun zu müssen meinte , was die Arbeit des Geräts stören könnte. Jede Bewegung während der Untersuchung, erklärte ihr Noreen, würde die Aufnahmen
verderben, und sie müssten dann wieder ganz von vorn anfangen.
Schließen Sie die Augen, hatte die junge Frau ihr geraten, und denken Sie an etwas Schönes.
Die Panik setzte schon ein, als man ihr den Kasten über den Kopf
stülpte, der beinahe bis zu ihrer Brust hinunter reichte, sodass sie selbst bei geschlossenen Augen das Gefühl hatte, in einem Grab zu liegen , in dem sie keine Luft bekam. Dann begann der Tisch , auf dem sie lag, seine langsame Fahrt in die lange, enge Röhre, und sie kam sich vor wie eine russische Puppe, eine Puppe in einer Puppe in einer Puppe. Sie wusste , sie musste auf der Stelle raus aus dieser gottverdammten Maschine, das war ja schlimmer als der ganze Unfall , schlimmer als der Airbag, schlimmer als alles, was sie in ihrem ganzen Leben erlebt hatte. Sie musste raus oder sie würde krepieren, und so begann sie zu schreien, die junge Frau anzuflehen, ihr zu helfen, vergaß den Summer, vergaß alles außer ihrer Panik, bis Noreen ihr sagte, sie könne die Augen aufmachen, und sie zu weinen anfing, weil sie am ganzen Körper Schmerzen hatte
und sich aufführte wie ein kleines Kind und sich in ihrem ganzen Leben nie so verlassen gefühlt hatte.
Und nun verlangte diese Frau von ihr, alle Todesfurcht und
Verlassenheitsgefühle zu überwinden und sich dieser Prozedur noch
einmal auszusetzen. Nein, dachte Mattie, nein, ich kann das nicht. Lieber nehme ich das Risiko einer Gehirnblutung in Kauf oder was sonst noch alles passieren kann. Schon als Kind hatte sie Angst vor dem Ersticken gehabt, Angst davor, lebendig begraben zu werden. Sie schaffte das
nicht. Sie würde sich da nicht noch einmal hineinbegeben.
»Aber Sie holen mich gleich wieder raus, wenn ich Panik kriege?«,
hörte sie sich fragen. Was war eigentlich los mit ihr? War sie völlig verrückt geworden?
»Sie brauchen nur auf den Summer zu drücken. Dann hole ich Sie
sofort heraus.« Mit überraschend kräftigen Händen ließ Noreen Mattie wieder auf den Tisch hinunter. »Versuchen Sie, sich zu entspannen.
Vielleicht schlafen Sie sogar ein.«
O Gott, o Gott, o Gott, dachte Mattie mit krampfhaft zugedrückten
Augen, den Summer fest an ihr hämmerndes Herz gepresst, als ihr Kopf von neuem in den Kasten gesteckt wurde, dessen Oberseite über ihr
Gesicht bis zu ihrer Brust hinunterreichte, sodass sie in
undurchdringlicher Finsternis und schwarzer Verzweiflung versank. Ich kriege keine Luft, dachte Mattie. Ich ersticke.
»Wie lange kennen Sie denn Dr. Katzman schon?«, fragte Noreen,
offensichtlich bemüht, Mattie abzulenken.
»Ach, wir kennen uns schon ewig«, antwortete Mattie mit
zusammengebissenen Zähnen und sah Lisa wieder als das
sommersprossige kleine Mädchen vor sich, das sie einmal gewesen war.
»Wir sind seit unserem dritten Lebensjahr befreundet.«
»Alle Achtung!«, sagte Noreen, und ihre Stimme bekam einen
gedämpfteren Ton, als sie von Matties Seite wegtrat. »Ich schalte die Maschine jetzt ein, Mattie. Wie geht es Ihnen?«
Nicht besonders, dachte Mattie, als der Tisch unter ihr sich in
Bewegung setzte und sie in die Röhre hineintrug. Bleib ruhig. Bleib ganz ruhig. Bald ist es vorbei. Fünfundvierzig Minuten. Das ist nicht so wahnsinnig lang. Das ist verdammt lange. Das ist fast eine Stunde,
Herrgott noch mal! Ich schaff das nicht. Ich muss raus hier. Ich krieg keine Luft. Ich ersticke.
»Die erste Serie von Aufnahmen beginnt jetzt«, sagte Noreen. »Das
Geräusch klingt ein bisschen wie das Hufgetrappel von Pferden , und es dauert
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