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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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denn so laut sein? Und dieses Vibrieren in ihren Ohren, als sauste ein Bienenschwarm in ihrem Schädel herum und suchte
    verzweifelt nach einem Ausgang.
    »Ist es bald vorbei?«, fragte Mattie, als das Pferdegetrappel verhallte und die Vibrationen mit einem leichten Nachbeben aufhörten.
    »Drei haben wir geschafft. Jetzt noch zwei. Sie machen das sehr gut
    so.«
    Nur ein paar Minuten noch, Mattie, hörte sie ihren Vater sagen. Du
    machst das sehr gut so.
    »Wann kann ich es sehen?«, fragte ihre Kinderstimme ungeduldig.
    »Gleich... jetzt!« Ihr Vater trat von seiner provisorischen Staffelei zurück, die unten im halb ausgebauten Keller aufgestellt war, und richtete sich stolz auf, als sie zu ihm lief.
    Mattie betrachtete das Porträt , das ihr Vater in wochenlanger Arbeit von ihr gemalt hatte, lange mit unverwandtem Blick, verzweifelt bemüht , sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Das Bild hatte
    überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihr.
    »Was meinst du?«
    »Ich würde sagen , du solltest bei deiner Versicherungsvertretung bleiben«, ertönte wie aus dem Nichts die Stimme ihrer Mutter. Mattie hatte sie nicht einmal herunterkommen gehört.
    »Ich finde es schön«, sagte Mattie, augenblicklich bereit, für ihren Vater in die Bresche zu springen.
    Was ist eigentlich aus dem Bild geworden?, fragte Mattie sich jetzt.
    Hatte ihr Vater es mitgenommen, als er Hals über Kopf seine Arbeit an den Nagel gehängt und die Stadt verlassen hatte? Beinahe hätte sie laut aufgeschrieen. Gerade noch gelang
    es ihr, den Schrei
    hinunterzuschlucken, der die Aufnahmen verdorben und sie gezwungen
    hätte, sich der Prozedur noch einmal ganz von vorn zu unterziehen. Mit meinem Leben würde ich das gern tun, dachte sie, noch einmal ganz von vorn anfangen. Es diesmal richtig machen. Mir einen Vater suchen, der nicht wegginge. Mir einen Mann suchen, dem ich wichtiger wäre als
    andere Frauen. Etwas an mir selbst entdecken, das ein anderer lieben könnte.
    »So, jetzt kommt Nummer vier.«
    Gleich ist es vorbei, tröstete sich Mattie, als die Vibrationen
    begannen, die die vierte Serie von Aufnahmen begleiteten , und zunehmend stärker von ihr Besitz ergriffen. Sie hatte ein Gefühl , als hielte sie unter Wasser die Luft an; als würde ihre Lunge jeden Moment bersten. Sie sah sich gekrümmt über dem Rand des Schwimmbeckens in
    ihrem Garten hängen, während sie darauf wartete, dass das Kribbeln in ihrem Fuß aufhörte. Ein unglaublicher Tag, dachte sie bei der
    Erinnerung an ihren Sturz, als ihr Fuß ihr den Dienst versagt hatte. Sie hatte den Tag mit Überlegungen darüber begonnen , wie sie ihren Mann umbringen könnte , und hatte am Ende beinahe sich selbst umgebracht.
    Ganz zu schweigen von ihrer kleinen Einlage bei Gericht.
    Sie fragte sich , ob Jake sie erwarten würde, wenn sie aus dem Krankenhaus kam, oder ob er bereits seine Sachen gepackt und das
    Weite gesucht hätte. Wie ihr Vater, der auf der Suche nach weiteren Horizonten die Familie verlassen hatte. Auf Nimmerwiedersehen. Das
    Wandern ist des Müllers Lust... Lieber Gott, hilf mir! Ich muss hier raus, dachte Mattie, bevor ich völlig den Verstand verliere.
    »Letzte Serie.«
    Mattie holte tief Atem, wenngleich ihr Körper stocksteif blieb.
    Vorzeitiger rigor mortis, dachte sie, bestens geeignet zum Begräbnis bei lebendigem Leibe. Sie wappnete sich gegen das Donnern der Hufe, der
    heran fliegenden Herde, gegen das Hämmern über und neben ihrem
    Kopf, gegen ihre Angst vor den kommenden Vibrationen. War Jake hier, im Krankenhaus? Hatten sie ihn erreichen können? Wie hatte er auf die Nachricht von ihrem Unfall reagiert? Interessierte es ihn überhaupt? War er erleichtert oder enttäuscht gewesen, als er gehört hatte, dass sie am Leben war?
    Die Vibrationen füllten ihren Mund, drangen wie der Bohrer des
    Zahnarzts in ihre Zähne ein. Gleich würde der Bohrer ihre Zähne
    sprengen und auf die Wurzeln treffen , durch ihr Zahnfleisch hindurch ein Loch direkt in ihr Gehirn bohren. Wenn das keine versteckten
    Hämatome gab! Sie durfte das nicht geschehen lassen. Sie musste raus hier. Jetzt gleich. Es war ihr egal , dass die Qual fast vorbei war , dass die Aufnahmen verpfuscht wären. Sie musste raus aus dieser verdammten
    Röhre. Auf der Stelle.
    »So , das war’s. Wir sind fertig« , sagte Noreen Aliwallia , und Mattie fühlte , wie ihr Körper aus der Röhre glitt und der Sargdeckel über ihrem Kopf sich hob. So begierig wie eine Ertrinkende sog sie die frische Luft

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