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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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seine schwere braune
    Lederjacke auszog und sie über das Treppengeländer warf, bevor er Kim nach oben folgte.
    »Ganz okay, ja.«
    Sie sprachen erst wieder, als sie die Tür zu ihrem Zimmer erreichten.
    Kim warf sicherheitshalber einen schnellen Blick hinein, um sich zu
    vergewissern, dass es halbwegs präsentabel war. Nach dem Anruf bei
    Teddy hatte siein aller Eilealles, was nicht niet- und nagelfest war, in ihren Schrank gestopft. Sie hatte sogar ihr Bett gemacht. Ihre Mutter regte sich dauernd darüber auf, wie schlecht man in einem ungemachten Bett schliefe. Aber viel schlafen, dachte Kim mit einem innerlichen Lächeln, würden sie bestimmt nicht.
    »Cool«, sagte Teddy, als er eintrat und sich umsah. »Klasse, die
    Decke«, fügte er mit einem Blick auf das französische Doppelbett hinzu.
    Kim nickte. Die Decke war ein Quilt aus bunten Stoffquadraten in
    unterschiedlichen Mustern: rot-weiße Streifen neben blau-weißem Karo neben gelben Blumen neben großen grünen Punkten. Ihre Mutter hatte
    die Decke ausgesucht, genau wie alles andere in diesem Zimmer, wenn sie auch scheinbar Kim die Entscheidungen überlassen hatte. »Es kommt ganz auf dich an«, hatte sie gesagt, als sie in das Haus eingezogen waren.
    »Du bist jetzt ein großes Mädchen. Wir richten dein Zimmer genau so ein, wie du es haben möchtest.«
    Aber woher sollte Kim wissen, was sie wollte? Sie war ja zum
    Zeitpunkt des Einzugs erst elf gewesen und hatte noch gar keine Zeit gehabt, einen eigenen Geschmack zu entwickeln. Also hatte sie sich in allem nach den Vorschlägen ihrer Mutter gerichtet. Selbst die Wände ihres Zimmers spiegelten die Persönlichkeit ihrer Mutter. Während die meisten Mädchen ihres Alters ihre Wände mit Postern von Hollywood-Stars oder Jugendbands bepflasterten, hingen an den sandfarbenen
    Wänden von Kims Zimmer gerahmte Poster aus dem Art Institute,
    signierte Lithografien von Künstlern wie Joan Miró und Jim Dine, sogar eine wunderbare Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Mutter, die ihre
    Tochter umarmte, von der berühmten Fotografin Annie Leibowitz.
    Was sollte sie tun, wenn ihre Mutter nicht mehr da war, fragte sich Kim hilflos. Wenn niemand mehr da war, der ihr sagen konnte, was sie mochte und was nicht? Wenn niemand mehr da war, der ihr half, ihr
    Gefühl für sich selbst zu entwickeln? »Das ist ja echt cool« , sagte Teddy und trat näher an eines der Bilder heran , die Zahl 4 in leuchtendem Gelb vor einem schwarz-roten Hintergrund. »Hast du das gemalt?«
    Kim suchte in Teddys Gesicht nach einem Anzeichen dafür , dass das ein Scherz sein sollte. »Wohl kaum« , antwortete sie. »Es ist von Robert Indiana.« Und biss sich sofort auf die Unterlippe. War sie mit ihrer Besserwisserei zu weit gegangen? Hatte sie ihn in Verlegenheit gebracht?
    Würde er jetzt mit irgendeiner blöden Entschuldigung , dass er woanders hin müsste , abhauen und ihre lästige Jungfräulichkeit unversehrt lassen?
    »Aha.« Teddy zuckte die Achseln. »Cool.«
    »Es ist ein Druck.« Wie konnte er einen Druck mit einem
    Originalgemälde verwechseln? Wie konnte sie was mit einem Jungen
    anfangen , der diesen Unterschied nicht sah?
    »Cool« , sagte er wieder und ließ sich mitten auf ihr Bett fallen.
    War das alles, was ihm einfiel? Kim blieb in der Mitte des Zimmers
    stehen. Sicher , er war nicht der Hellste m der Schule, aber der Dümmste war er auch nicht. Denk positiv, forderte Kim sich auf. Halt nicht am Negativen fest. Denk an alles, was du an Teddy magst – seine
    schokoladenbraunen Augen, die Grübchen in seinen Wangen, wenn er
    lächelt , seinen straffen, sehnigen Körper, die langen schmalen Finger, seine Küsse, seine Hände an deiner Brust. Soll ihn doch jemand anders seines Verstandes wegen lieben, dachte Kim, während sie Teddy
    anstarrte, der neben sich aufs Bett klopfte. Reichte es nicht, dass er älter und erfahrener war, dass er sie unter den vielen anderen Mädchen
    ausgewählt hatte, die er hätte haben können? Reichte es nicht, dass alle ihre Freundinnen sie beneideten?
    Aber in Wirklichkeit waren das gar keine Freundinnen. Caroline
    Smith, Annie Turofsky, Jodi Bates – die gaben sich doch nur mit ihr ab, weil sie Teddys Freundin war. Sie würden sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, sobald Teddy genug von ihr hatte. Nein, in Wahrheit hatte sie überhaupt keine engen Freundinnen. In Wahrheit war immer ihre Mutter ihre beste Freundin gewesen. You and me against the world, wie oft hatte ihre Mutter das gesungen , als

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