Zaehme mich
sexuelle Frühreife ursprünglich von dem Wunsch angefacht worden war, einen Ersatz für Daniel zu finden, erkannte sie doch sehr schnell, dass sie eine wirkliche Begabung für Sex hatte. In der Erforschung und Erweiterung dieses natürlichen Talents fand sie echte Freude. Auch wenn ihr Leben nur seinetwegen so geworden war, es war trotzdem ganz und gar ihr eigenes.
Wenn sie sich Daniel einfach fügte, würde sie das alles wegwerfen. Als würde sie sich eine Nadel in den Arm jagen und sagen: Hey, das war’s. Ich will ein Junkie sein, und ich will, dass ich den ganzen Rest meines Lebens an der Spritze hänge, und es macht mir nichts aus, wenn ich beschmutzt werde oder dabei draufgehe, Hauptsache, ich fühle mich so wie jetzt. Ich werde nie in der ganzen Welt herumreisen, ich werde nie eine Familie haben, ich werde nie Karriere machen, ich werde nie mehr mit meinen Eltern sprechen. Ich bin kein Bündel schlummernder Kräfte, das nur darauf wartet, die Welt zu erobern. Ich bin nichts, und ich will nichts außer diese Seligkeit und diesen Schmerz, dieses Nichts, diese Leere, diese Liebe.
Und wenn sie sich Daniel unterwarf, musste sie Jamie aufgeben. War es überhaupt möglich für sie, ohne Jamie zu leben? Seit ihrer Zeit als Jugendliche hatte er sie vor den schlimmsten Stürmen bewahrt und die grausamen Seiten des Lebens für sie abgemildert. Ohne Freunde, ohne feste Beziehung, ohne Eltern hatte sie nur deshalb so gut überleben können, weil er immer die Scherben aufsammelte. Ohne ihn wusste sie doch nicht einmal, wer sie war. Sie hatte keine Vorstellung, wie es wäre, in einer Welt ohne Jamie zu leben.
Aber sie hatte ohne Daniel Carr gelebt, und das hatte ihr gar nicht gefallen.
Um drei rief er an, um ihr anzukündigen, dass er sie um acht abholen würde. Sie warf einen kurzen Blick auf Jamie, der so tat, als würde er nicht zuhören.
»Ich muss arbeiten.«
»Willst du mich nicht sehen?«
Mein Gott! Was für eine wunderbare Stimme er hatte.
Wäre Jamie nicht hier gewesen, hätte sie ihm das auch gesagt. »Ich habe mir schon gestern Abend freigenommen.
Ich muss hin, sonst …«
»Schön, dann hol ich dich dort ab. Wann machst du Schluss?«
Sarah presste die Hand an die Lippen. Sie hätte ihm sagen müssen, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Sie würde ihn anrufen, sobald sie Zeit hatte. Sie hätte ihm sagen müssen, dass es ja wohl ziemlich dreist von ihm war, sie heute anzurufen, nach dem, wie er sie gestern zugerichtet hatte. Sie hätte ihm sagen müssen, dass sie sich nicht mehr mit ihm treffen konnte, weil sie mit ihm auch noch den letzten Funken Ehrgeiz verlor, den sie jemals gehabt hatte.
Sie sagte ihm, dass sie um zehn fertig war, und gab ihm die Adresse. Obwohl ihr nicht entging, dass Jamies Ohren vor Anstrengung ganz rot wurden, flüsterte sie, sie könne es gar nicht mehr erwarten. Es war eine jämmerliche Bemerkung, die sie am liebsten gleich wieder zurückgenommen hätte, doch ihm gefiel sie.
»Dann komme ich schon früher«, sagte er.
3
Um halb zehn kam Daniel ins Restaurant und bestellte sich an der Bar einen Scotch. Sarah lächelte, und ihr Herzschlag stockte wie immer, wenn sie ihn erblickte. Er nickte, doch ohne zu lächeln oder zu winken. Sarah war das egal. Er war hier, und er war schön.
In einem Nebel der Befangenheit beendete sie ihre Schicht. Sie arbeitete schon seit sechs Jahren im Steakhouse, doch sich von ihm beobachtet zu wissen, machte alles neu und kompliziert. Es fiel ihr schwer, ihre Stimme, ihren Gang, ihr Gleichgewicht unter Kontrolle zu halten. Es fiel ihr schwer, nicht zu kichern und nicht ihr Haar durch die Luft zu schleudern. Es fiel ihr schwer, sich nicht zu fühlen wie eine Schauspielerin in einem Film, in dem die Kellnerin von dem gutaussehenden älteren Mann aus ihrer dumpfen, erniedrigenden Existenz erlöst wird, nachdem er sie aus einer entfernten Ecke des Restaurants erspäht und sich in die Art verliebt hat, wie ihr das Haar halb über die Augen fällt.
Um Punkt zehn Uhr hatte sich Sarah die Tasche über die Schulter gehängt und bedeutete Daniel mit einer Geste, ihr zu folgen. Sie hatte sich nicht umgezogen, plauderte nicht mit den Leuten in der Küche und trank auch kein Bier mit den anderen Serviererinnen, wie sie es sonst nach dem Ende der Schicht meistens machte. Auf dem Parkplatz blieb sie stehen und gab ihm einen Kuss, den er sich voller Ungeduld gefallen ließ, bevor er sie mit einem Knurren in den Wagen stieß. Er fuhr in einem Wahnsinnstempo und
Weitere Kostenlose Bücher