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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Maguire
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ignorierte rücksichtslos alle Ampeln. Schließlich bat ihn Sarah anzuhalten, obwohl sie in solchen Dingen eigentlich nicht besonders ängstlich war.
    Er lenkte das Auto einen steilen Feldweg hinunter und brachte es mit quietschenden Bremsen mitten im Buschland zum Stehen. Sarah hörte plätscherndes Wasser, was auf einen Fluss schließen ließ. Doch der Parramatta River konnte es nicht sein, dafür waren sie zu lang gefahren. Und wenn es der Toongabbie Creek gewesen wäre, hätte sie den Weg erkannt.
    »Wo sind wir hier?« Sie machte den Gurt auf und wandte sich zu ihm.
    »Schau dich an!«, sagte Daniel, dann küsste er sie auf die Lippen. Der Kuss war so heftig, dass sie fast in Ohnmacht gefallen wäre. Ihr Kopf wurde nach hinten gegen den Sitz gequetscht und ihre Nase gegen sein Jochbein. Er küsste sie mit seinem ganzen Gesicht, doch als sie versuchte, ihn auf sich zu ziehen, löste er sich von ihr.
    »Es hat mir Spaß gemacht, dir bei der Arbeit zuzuschauen.« Er keuchte. »Ich bin seit einer Dreiviertelstunde steif.«
    »Dass du mir beim Tellerabräumen zugeschaut hast, hat dich angemacht?«
    »Ja, und wie. Du in diesem engen, kurzen Kleid und mit diesen hässlichen Schuhen. Und auch noch ein Namensschild. Das hatte ich mir noch nie vorgestellt. Du als Namensschildmädchen.«
    Sie starrte auf ihre flachen weißen Strandschuhe. Er hatte Recht: Sie waren hässlich und machten ihre Beine noch kürzer und magerer. Sie hätte sich Zeit zum Umziehen nehmen sollen.
    Daniel zupfte an ihrem Kragen. »Ich hatte schon immer eine Schwäche für diese Uniform. Weißt du, ich habe meine Unschuld an eine Kellnerin verloren.«
    Sarah räusperte sich. »Das wusste ich nicht.«
    »Das ist allen Jungs damals so gegangen. Sie war das Dorfflittchen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich ihr einmal das Namensschild abgenommen habe … Paula, ja, so hieß sie. Ich glaube, wenn das Schild nicht gewesen wäre, würde ich mich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.«
    »Wenn du mich irgendwie beleidigen willst, dann sag’s mir lieber offen ins Gesicht. Komm mir nicht mit Altmännergefasel über deine wilde Jugend, so was finde ich extrem langweilig.« Sarah sank in ihren Sitz zurück und sah zum Fenster hinaus.
    »O je«, sagte er mit der wärmsten, süßesten Stimme, die sie je gehört hatte, »jetzt hab ich dich beleidigt, und dabei wollte ich dir nur ein Kompliment machen.«
    Mit seiner Stimme konnte er alle Register ziehen. Sie war ein Teil seiner Macht über Sarah. Übergangslos wechselte sie von kalt zu lieb zu wütend zu grausam zu freundlich und wieder zurück. Sarah war von Natur aus eher ausgeglichen, und diese starken Schwankungen brachten sie aus der Fassung, doch genau deshalb setzte er sie ja ein: um sie zu verunsichern. Dabei besaß sie, was ihn anging, ohnehin keine Sicherheit.
    »Ich wollte damit nur sagen«, fuhr er fort, »dass du sogar in dieser hässlichen Kluft, mit strähnigem Haar und fettiger Haut – das heißt, wenn du eigentlich furchtbar aussiehst – immer noch die begehrenswerteste Frau der Welt bist.«
    Sarahs Gesicht blieb zum Fenster gewandt. Natürlich sah sie entsetzlich aus, und sie war auch nicht auf falsche Komplimente aus, doch sie verstand einfach nicht, warum er sie mit Absicht so kränken musste.
    »Ach, Sarah.« Sein Mund streifte ihren Nacken, ihr Ohr, ihren Kiefer.
    »Von Sonn’ ist nichts in meines Liebchens Blicken: Wenn Schnee weiß, ist ihr Busen graulich gar: Weit röter glüht Rubin als ihre Lippen.«
    Sarah verzieh ihm sofort alles und schmiegte sich an ihn. Shakespeares Sonette waren das Hintergrundgeräusch ihrer gesamten Beziehung. Früher hatte er gegen die quälende Verständnislosigkeit der Klasse angelesen, und jedes Wort schien von ihm für sie geschrieben. Sein Lieblingsgedicht war Nummer achtzehn: Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? Anmutiger, gemäßigter bist du. Heute schien ihr dieses Gedicht abgedroschen und gekünstelt, aber das lag vielleicht nur daran, dass es zu einem Klischee geworden war, eine Grußkarte mit einem Bild, das Narzissen, langes grünes Gras und ein hinter einem großen, weißen Hut verborgenes Mädchen zeigte.
    Als Shakespeare das Sonett schrieb, war es originell und voller Aufrichtigkeit, und so war es auch gewesen, als Sarah es zum ersten Mal hörte. Als er sie durch das Klassenzimmer ansah und sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Er ist so ein Schnuckel. Wenn er bloß nicht ständig diesen Liebesschrott machen würde, flüsterte

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