Zaehme mich
ihr Jess damals zu. Sarah wusste nicht mehr, was sie geantwortet hatte, doch auf jeden Fall war sie zu laut, und er hörte mit vorwurfsvollem Blick auf zu lesen. Möchten Sie der Klasse etwas mitteilen, Miss Clark? Sarah schüttelte nur zutiefst verlegen den Kopf. An diesem Tag behielt Mr. Carr sie nach der Schule da und hielt ihr eine Strafpredigt über Unterrichtsstörung. Sie habe keinen Respekt vor ihm als Lehrer. Dann vögelte er sie, während sie immer wieder das Sonett rezitieren musste. Damit du es nie vergisst, sagte er.
»Was muss ich tun, damit du wieder mit mir redest?«
»Ich weiß nicht, ob ich mit dir reden will. Ich weiß überhaupt nicht, was ich mit dir machen soll.«
»Wie wär’s mit einem Drink bei mir zu Hause?« Sarah hätte am liebsten losgeheult, »Ja, in Ordnung.«
Daniels Wohnung lag im fünfzehnten Stock eines fast neuen Hochhauses in Rosehill. Sarah wollte eigentlich gar nichts anschauen außer Daniel, aber sie zwang sich, seine polierten Parkettböden, sein Marmorbad und seinen besonders großen Balkon mit Höflichkeit zu quittieren. Er war aufgeregt wie ein Kind, als er ihr den Kühlschrank mit eingebautem Eiswürfelbereiter zeigte und das Bücherregal aus Palisanderholz, das eine ganze Wand in seinem Wohnzimmer bedeckte. Es war, als wäre er achtzehn und würde zum ersten Mal in einer eigenen Wohnung leben.
Dann fiel Sarah ein, dass er wahrscheinlich wirklich zum ersten Mal allein wohnte, und sie hatte auf einmal das Bedürfnis, ihn zu beschützen.
Sie schlang ihm die Arme um die Taille und küsste ihn auf den Hals. »Können wir jetzt miteinander ins Bett gehen?«
Daniel lachte. »Nein, wir können nicht miteinander ins Bett gehen, Sarah. Wir kennen uns doch kaum.«
»So ein Blödsinn.« Sarah ließ ihre Lippen seinen Hals hinaufwandern, bis sie beim Ohr angelangt war.
»Niemand kennt mich so gut wie du. Wenn wir uns kaum kennen würden, dann hätte ich das neulich Nacht bestimmt nicht mit mir machen lassen.«
»Erstens, Sarah, hast du es nicht mit dir machen lassen –
du hattest gar keine andere Wahl.«
»Das glaubst du vielleicht.« Sarah schob ihm die Zunge ins Ohr.
»Und zweitens …« Daniel machte einen Schritt zurück, ließ aber seine Hände auf ihren Hüften. »Das, was neulich Nacht passiert ist, zeigt doch genau, warum wir nicht miteinander ins Bett gehen können. Bei dir verliere ich jede Selbstbeherrschung.«
»Ich verlange ja nicht, dass du sie behältst.«
»Es ist mir sehr wichtig, dass wir das richtig machen. So was wie letztes Mal darf nicht wieder vorkommen.«
Sarah drückte sich an ihn. »Es wird viel besser sein als damals. Diesmal kann ich dir einiges zeigen.«
»Mein Gott, Sarah!« Daniel stieß sie weg, und sie fiel nach hinten auf einen Couchtisch. Er schien es überhaupt nicht zu bemerken. Murmelnd stand er vor dem Regal und zog Bücher heraus. Als er sich ihr wieder zuwandte, hatte er ein ledernes Buch im Format der Gelben Seiten in der Hand.
Er deutete auf das Sofa neben sich. »Setz dich.«
Sarah folgte seiner Anweisung. »Ist das eine von deinen Fantasien? Soll ich dir was aus der Bibel vorlesen, bevor wir ficken? Oder willst du mir was vorlesen, während ich …«
Daniel legte ihr die Hand auf den Mund. »Sei still. Ich möchte dir was zeigen. Dann kannst du mir sagen, wie gut wir uns kennen.«
Er nahm die Hand weg, und Sarah streckte ihm die Zunge heraus, sagte aber nichts mehr. Er hatte das Buch geöffnet auf seinen Schoß gelegt, und Sarah sah, dass es gar kein Buch war, sondern ein Fotoalbum. Er hatte es bei einem Hochzeitsfoto aufgeschlagen. Das Paar auf dem Bild sah so glücklich aus, wie man es sich nur vorstellen konnte. Beide lächelten einander zu, ohne auf die Kamera zu achten, und hielten die Hände ineinander verschlungen. Er hatte schulterlanges blondes Haar und steckte in einem hellblauen Smoking; sie trug ein fließendes weißes Kleid und einen Blumenkranz auf dem Kopf. Auf einem Transparent über ihnen stand: Alles Gute, Danny und Lisa.
»Danny?«
»Ja, damals war ich noch Danny.«
Beide schwiegen, während Sarah umblätterte. Sie konnte es gar nicht glauben, dass er einmal so glatt und frisch gewesen war. Er sah aus wie ein Surfer, der sich den ganzen Tag am Strand rumtreibt, und sie – seine Frau – war trotz ihrer Dauerwelle und des blauen Lidschattens einfach wunderschön.
»Wie alt warst du damals?«
»Viel zu jung.« Er blinzelte mit tiefen Furchen um die Augen. »Gerade erst neunzehn.«
Sarah
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