Zaertlich ist die Nacht
fahren.«
»Ach«, sagte McKibben enttäuscht. »Nun, ich muss mich verabschieden.« Er wickelte seine beiden Rauhaardackel vom Nachbartisch los und ging; während Dick sich den nach Innsbruck rumpelnden Packard vorstellte, in den sich die McKibbens, ihre Kinder, das Gepäck, die hechelnden Hunde und die Gouvernante hineinquetschten …
»In der Zeitung stand, sie wüssten jetzt, wer ihn erschlagen hat«, sagte Tommy gerade. »Aber seine Verwandten wollten nicht, dass in der Zeitung Genaueres steht, weil es so eine Spelunke gewesen ist. Wie findet ihr das?«
»Ich denke, das nennt man Familienehre.«
|305| Hannan schlug einen lauten Akkord an, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich glaube nicht, dass ihn seine Musik überdauern wird«, sagte er. »Ganz abgesehen von den Europäern gibt es auch ein Dutzend Amerikaner, die dasselbe wie North machen.«
Erst jetzt merkte Dick, dass sie offenbar über Abe North redeten.
»Der Unterschied ist nur«, sagte Tommy, »dass Abe es zuerst gemacht hat.«
»Da bin ich anderer Ansicht«, sagte Hannan. »Seinen Ruf als Komponist hat er nur gekriegt, weil er so viel getrunken hat, dass seine Freunde eine Erklärung brauchten –«
»Was redet ihr da über Abe North? Was ist mit ihm? Steckt er irgendwie in der Klemme?«
»Hast du heute Morgen den ›Herald‹ denn nicht gelesen?«
»Nein.«
»Er ist tot. Er ist in New York in einer Flüsterkneipe erschlagen worden. Er ist gerade noch zum Racquet Club nach Hause gekrochen, um dort zu sterben –«
»Abe North?«
»Ja, sicher, sie –«
»Abe North?«
Dick stand auf. »Bist du sicher, dass er tot ist?«
Hannan wandte sich an McKibben. »Er ist nicht zum Racquet Club gekrochen, sondern zum Harvard Club. Ich bin ganz sicher, dass er nicht zum Racquet Club gehört hat.«
»Stand aber so in der Zeitung«, beharrte McKibben.
»Das muss ein Irrtum sein. Da bin ich mir sicher.«
In einer Flüsterkneipe
2* zu Tode geprügelt.
»Aber die Mitglieder des Racquet Clubs kenne ich fast alle persönlich«, sagte Hannan. »Es
muss
der Harvard Club gewesen sein.«
|306| Dick stand auf, und Tommy auch. Fürst Chillicheff fuhr aus einer matten Grübelei hoch. Wahrscheinlich hatte er darüber nachgedacht, wie er jemals aus Russland herauskommen sollte, ein Gedanke, der ihn so lange beschäftigt hatte, dass es zweifelhaft schien, ob er ihn je wieder aufgeben könnte. Er stand auf und ging mit ihnen.
Abe North zu Tode geprügelt.
Auf dem Weg zum Hotel, den Dick fast bewusstlos zurücklegte, sagte Tommy: »Wir warten noch darauf, dass der Schneider unsere neuen Anzüge fertig hat, damit wir nach Paris fahren können. Ich will an der Börse einsteigen, und in diesen Klamotten würde kein Makler mich einstellen. Bei euch in Amerika machen sie alle Millionen. Willst du wirklich morgen schon abreisen? Wir können heute nicht mal mit dir zu Abend essen. Der Fürst hatte noch eine alte Flamme in München. Er hat sie angerufen, aber sie ist offenbar schon seit fünf Jahren tot und jetzt essen wir mit den beiden Töchtern zu Abend.«
Der Fürst nickte. »Vielleicht hätte ich für Doktor Diver arrangieren können?«
»Nein, nein«, sagte Dick hastig.
Sein Schlaf war tief, und als er aufwachte, zog draußen vor seinem Fenster ein Trauermarsch langsam vorbei. Es war eine endlose Kolonne von Männern in Uniform mit den vertrauten Helmen von 1914, beleibten Männern mit Bratenrock und Zylindern, Bürger, Aristokraten, einfache Männer. Ein Kriegerverein, der Kränze zu den Gräbern der Toten hinausbrachte. Die Kolonne marschierte in prahlerischer, gravitätischer Würde, im Bewusstsein verlorener Größe, vergangener Leistung, vergessener Leiden. Die Trauer auf den Gesichtern ging nicht sehr tief, aber einen Moment lang drohten Dicks Lungen zu bersten, vor Kummer |307| über Abes Tod und seine eigene, vor zehn Jahren verlorene Jugend.
18
Innsbruck erreichte er in der Dämmerung. Er schickte sein Gepäck ins Hotel und ging zu Fuß in die Stadt. In der vom Sonnenuntergang beleuchteten Hofkirche kniete Kaiser Maximilian betend über den Trauernden aus Bronze; im Garten der Universität las ein Quartett von jesuitischen Novizen im Gehen in seinen Brevieren. Aber die Marmor-Denkmäler, die an alte Belagerungen, Hochzeiten und Jahrestage erinnerten, verblassten rasch, als die Sonne sich senkte; er aß eine Erbsensuppe mit klein geschnittenen Würstchen, trank vier Helle dazu und weigerte sich, zum Nachtisch noch einen
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