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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Kaiserschmarrn zu verzehren.
    Trotz der bedrängenden Berge war die Schweiz hier weit weg, und Nicole auch. Als er später in der Dunkelheit durch den Park ging, dachte er mit Abstand an sie, voller Liebe für ihre guten Seiten. Er erinnerte sich daran, wie sie einmal mit eiligen Füßen über einen taufeuchten Rasen zu ihm gelaufen war. Sie hatte sich an ihn geschmiegt, mit dünnen, durchnässten Pantöffelchen auf seine Schuhe gestellt und ihm das Gesicht wie ein offenes Buch hingehalten.
    »Spürst du, wie du mich liebst?«, hatte sie gefragt. »Ich verlange nicht von dir, dass du mich immer so liebst, aber ich möchte, dass du dich daran erinnerst; denn irgendwo in meinem Inneren wird immer die Person sein, die ich heute Nacht bin.«
    Aber Dick hatte sich um seiner Seele willen von ihr |308| entfernt, und jetzt wollte er darüber nachdenken. Er hatte sich irgendwann selbst verloren   – auch wenn er die Stunde, den Tag, die Woche, den Monat nicht nennen konnte, und auch nicht das Jahr. Früher hatte er einen scharfen Verstand gehabt und die schwierigsten Gleichungen genauso lösen können wie die einfachsten Probleme seiner einfachsten Patienten. Aber irgendwann zwischen dem Tag, als er die unter einem Felsen blühende Nicole in Zürich entdeckt hatte und seiner Begegnung mit Rosemary war sein Blick stumpf geworden.
    In seiner Jugend, als er gesehen hatte, wie sein Vater sich in armen Pfarreien abkämpfte, hatte er eine Sehnsucht nach Geld entwickelt, obwohl er kein habsüchtiger Mensch war. Es war nicht das gesunde Bedürfnis nach Sicherheit   – er war sich seiner nie sicherer gewesen als zu dem Zeitpunkt, als er Nicole geheiratet hatte. Er war damals ganz er selbst gewesen. Und doch war er wie ein Gigolo geschluckt worden und hatte zugelassen, dass seine Fähigkeiten im Tresor der Familie Warren eingesperrt wurden.
    »Wir hätten wie die Europäer eine ordentliche Mitgift vereinbaren sollen, aber es ist ja noch nicht zu spät. Ich habe acht Jahre damit vertrödelt, den Reichen das ABC des menschlichen Anstands beizubringen, aber ich bin noch nicht fertig. Ich hab noch viele Trümpfe auf der Hand.«
    Er schlenderte im Park zwischen den fahlen Rosenbüschen und Beeten mit süß riechenden Gewächsen herum. Es war noch recht warm für Oktober, aber doch kühl genug, um einen schweren, am Kragen mit einem elastischen Band verschlossenen Mantel zu tragen. Aus dem schwarzen Schatten eines Baumes löste sich eine Gestalt, und er wusste, dass es die Frau war, die er in der Eingangshalle gesehen hatte, als er das Hotel verließ. Er war neuerdings in jede |309| hübsche Frau verliebt, auch wenn er nur ihre Gestalt aus der Ferne oder ihren schlanken Schatten an einer Wand sah.
    Sie stand mit dem Rücken zu ihm und schien die Lichter der Stadt zu betrachten. Er riss laut kratzend ein Zündholz an, und eigentlich musste sie das gehört haben, rührte sich aber nicht. War das eine Einladung? Oder nur ein Zeichen von Selbstvergessenheit?
    Er hatte zu lange außerhalb der Welt der einfachen Wünsche und ihrer Erfüllung gelebt und war dementsprechend unsicher und ungeschickt. Gab es einen Code, mit dem sich die einsamen Wanderer der Kurorte verständigen konnten, um sich zu finden?
    Vielleicht musste er jetzt den nächsten Schritt tun. Fremde Kinder sollen sich anlächeln und sagen: »Komm, lass uns spielen.«
    Er trat näher, der Schatten bewegte sich seitwärts. Womöglich handelte er sich eine Abfuhr ein wie die nichtsnutzigen Handelsreisenden, von denen er in der Kindheit gehört hatte. Sein Herz schlug laut vor dieser unerprobten, nicht analysierten, ungeklärten Situation. Er wandte sich abrupt ab, und in diesem Moment löste sich auch die junge Frau aus dem schwarzen Fries des Blattwerks, umrundete mit gemäßigten, aber entschlossenen Schritten eine Bank und ging den Weg zurück zum Hotel.
    Mit einem Bergführer und zwei anderen Männern brach Dick am nächsten Morgen zur Birkkarspitze auf. Es war ein schönes Gefühl, als sie das Kuhgeläut der höchsten Almen hinter sich hatten   – Dick freute sich auf die Nacht in der Hütte, er genoss die Anstrengung, die Autorität des Bergführers und seine eigene Anonymität. Aber gegen Mittag schlug das Wetter um und überfiel sie mit Hagel, Schnee und widerhallendem Donner. Dick und einer der anderen |310| Wanderer wollten weitergehen, aber der Führer lehnte das ab. Missmutig stapften sie nach Innsbruck zurück, um es am nächsten Tag erneut zu versuchen.
    Nach dem

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