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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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selbstgerechten Bemerkung abtat: »Ein Gentleman mag er ja sein, aber nicht besonders dynamisch.«
    … Richard bat, man solle ihm eine Zeitung nach oben schicken. Immer noch vor dem Telegramm auf seinem Tisch hin und her gehend, suchte er nach einem Schiff, das ihn nach Amerika bringen würde. Dann meldete er ein Gespräch nach Zürich an, um Nicole Bescheid zu sagen, |313| und während er wartete, stiegen zahllose Erinnerungen in ihm auf, und er wünschte sich, er wäre immer so ein guter Sohn gewesen, wie er das gewollt hatte.

19
    Eine Stunde lang erschien ihm die großartige Fassade seines Heimatlandes, der Hafen von New York, zugleich traurig und glorreich, und das hing wohl auch mit seiner tiefen Reaktion auf den Tod seines Vaters zusammen. Aber als er an Land war, verschwand das Gefühl, und er fand es auch in den Straßen, Hotels und den Zügen nicht wieder, die ihn zunächst nach Buffalo und dann   – zusammen mit dem Leichnam seines Vaters   – nach Virginia, nach Süden brachten. Erst als der örtliche Zug durch die lehmigen Äcker und flachen Wälder von Westmoreland County rumpelte, fühlte er sich wieder im Einklang mit seiner Umgebung; am Bahnhof sah er einen Stern, den er kannte, und einen hellen, kalten Mond über der Chesapeake Bay; er hörte die wunderbar einfältigen Stimmen, die schnarrenden Räder der offenen Kutschen und das träge Plätschern der alten Flüsse, die leise unter sanften indianischen Namen dahinströmten.
    Am nächsten Tag auf dem Friedhof wurde sein Vater zwischen hundert Divers, Dorseys und Hunters zur Ruhe gebettet. Es war sehr friedlich, ihn dort zu lassen, bei all seinen Verwandten und Freunden. Blumen wurden auf die braune, frisch aufgeworfene Erde gestreut. Richard hatte hier jetzt keine Bindungen mehr und glaubte nicht, dass er noch einmal zurückkommen würde. Er kniete sich auf den harten Boden. Diese Toten, er kannte sie alle: ihre wettergegerbten |314| Gesichter mit den blitzenden blauen Augen, die mageren, gewalttätigen Körper und die im 17.   Jahrhundert im Dunkel der tiefen Wälder aus neuer Erde geformten Seelen.
    »Leb wohl, mein Vater   – all meine Väter 1* , lebt wohl.«
     
    Unter den langen Dächern der Landungsbrücken ist man in einem Niemandsland: nicht mehr hier und noch nicht dort. Das dunstige gelbe Gewölbe ist voller widerhallender Stimmen. Man hört das Rumpeln der Lastkarren und das Poltern der Überseekoffer und das Kreischen der Kräne, man ahnt den ersten Salzgeruch des Meeres. Man rennt in Eile hindurch, obwohl noch genügend Zeit ist; die Vergangenheit, das feste Land liegt hinter einem; die Zukunft ist das glühende Maul in der Bordwand des Dampfers; die dämmrige, turbulente Passage dorthin ist eine allzu verwirrende Gegenwart.
    Die Gangway hinauf und die Perspektive verengt sich. Man ist jetzt Bürger eines Gemeinwesens, das kleiner ist als Andorra, und man kann sich keiner Sache mehr sicher sein. Die Stewards am Pult des Pursers sehen genauso fremd aus wie die Kabinen; die Blicke der Mitreisenden und ihrer Freunde wirken herablassend. Als Nächstes die traurigen lauten Sirenen, die unheilvollen Vibrationen und dann ist das Schiff, die menschliche Idee, in Bewegung. Der Kai und seine Gesichter gleiten vorbei, und für einen Augenblick ist das Schiff ein zufällig abgespaltener Teil davon; dann entfernen sich die Gesichter, verlieren sich die Stimmen und der Kai ist nur noch ein weiterer, schwer zu erkennender Schatten am Ufer. Der Hafen treibt eilig hinaus zum Meer.
    Mit ihm trieb Albert McKisco, von einigen Zeitungen als |315| die wertvollste Fracht dieses Schiffes bezeichnet. McKisco war mächtig in Mode. Seine Romane waren ein Potpourri der besten Autoren der Gegenwart, eine nicht zu unterschätzende Leistung. Obendrein besaß er ein Talent, alles, was er sich aneignete, abzumildern und zu vereinfachen, sodass viele Leser begeistert waren, wie leicht sie ihm folgen konnten. Der Erfolg hatte ihn demütig gemacht und geläutert. Er gab sich keinen Illusionen über seine Begabung hin   – aber er war sich bewusst, dass er mehr Vitalität besaß als viele Männer mit überlegenem Talent, und er war entschlossen, seinen Erfolg zu genießen. »Ich habe noch gar nichts geleistet«, sagte er immer. »Und ich fürchte, ich bin auch kein großes Genie. Aber wenn ich es lange genug versuche, schreibe ich vielleicht doch mal ein gutes Buch.« Nun, es sind schon von schlechteren Brettern aus schöne Sprünge gemacht worden. Die zahllosen

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