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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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aus dem Gleichgewicht brachten   – obwohl ihm gerade dieser Gegensatz früher als besonderer Vorzug ihrer Beziehung gegolten hatte. So werden denn aus schäbiger Notwendigkeit Schuhe aus den Häuten des letzten Jahres geschneidert.
    Dennoch wurde es Mai, ehe Franz eine Gelegenheit fand, den ersten Keil in ihre Beziehung zu treiben. Eines Tages kam Dick mittags blass und müde in sein Büro und sagte: »Tja, nun ist sie gegangen.«
    »Sie ist tot?«
    »Das Herz hat versagt.« Dick setzte sich erschöpft auf den Stuhl in der Nähe der Tür. Drei Nächte lang hatte er bei der schorfbedeckten, namenlosen Künstlerin gesessen, die er zu lieben gelernt hatte; offiziell, um das Adrenalin zu verabreichen, aber in Wirklichkeit, um so viel blasses Licht wie möglich in die Dunkelheit zu werfen, die vor ihr lag.
    |369| Franz spürte, was in Dick vorging, und wechselte deshalb rasch zu einer professionellen Einschätzung: »Es war eine Neuro-Syphilis. Ganz egal, was die Wassermann-Tests besagen, die wir gemacht haben. Die Rückenmarksflüssigkeit   –«
    »Lass sein«, sagte Dick. »Mein Gott, lass es doch! Wenn ihr Geheimnis ihr wichtig genug war, um es mit auf die Reise zu nehmen, dann sollten wir es dabei belassen.«
    »Du solltest besser einen Tag Urlaub nehmen.«
    »Keine Sorge, das mache ich sowieso.«
    Damit hatte Franz seinen Keil; er schaute von dem Telegramm auf, dass er dem Bruder der Frau schicken wollte, und sagte: »Oder willst du eine kleine Reise machen?«
    »Jetzt nicht.«
    »Ich meine keine Ferienreise. Es gibt da einen Fall in Lausanne. Ich habe den ganzen Morgen mit einem Chilenen telefoniert   –«
    »Sie war so verdammt tapfer«, sagte Dick. »Und sie hat so lange gebraucht.« Franz schüttelte verständnisvoll den Kopf, und Dick riss sich zusammen. »Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.«
    »Es wäre für dich eine Abwechslung. Die Situation ist die: Der Vater hat Probleme mit seinem Sohn   – er kann ihn nicht dazu bewegen, hier zu uns heraufzukommen. Deshalb will er, dass jemand zu ihm kommt.«
    »Worum geht es denn? Alkoholismus? Homosexualität? Wenn du Lausanne sagst   –«
    »Von allem ein bisschen.«
    »Gut, ich fahre. Ist da Geld drin?«
    »Eine ganze Menge, würde ich sagen. Ich rechne damit, dass du zwei, drei Tage dort bleiben musst. Sieh zu, dass du den Jungen hier raufbringst, wenn er unter Beobachtung |370| gestellt werden muss. Lass dir auf jeden Fall genug Zeit, entspann dich; du kannst ja das Geschäftliche mit ein bisschen Vergnügen verbinden.«
    Nachdem er im Zug zwei Stunden geschlafen hatte, fühlte sich Dick wie ein neuer Mensch und machte sich in bester Laune auf den Weg zu dem Gespräch mit Señor Pardo y Ciudad Real.
    Diese ersten Gespräche verliefen immer recht ähnlich. Oft war die nackte Hysterie der Familie psychologisch genauso interessant wie der Zustand des eigentlichen Patienten. Auch in diesem Fall war das nicht anders: Señor Pardo y Cuidad Real, ein gut aussehender, eisengrauer Spanier von edler Haltung mit allen Attributen von Macht und Reichtum, tobte in seiner Suite im »Hôtel des Trois Mondes« hin und her und erzählte die Geschichte seines Sohnes mit weniger Selbstkontrolle als ein betrunkenes Weib.
    »Ich weiß mir keinen Rat mehr. Mein Sohn ist verdorben. Er war schon in Harrow und am King’s College in Cambridge verdorben. Er ist unverbesserlich verdorben. Jetzt, mit der Trinkerei, wird es immer klarer, wie er wirklich ist. Es ist ein ständiger Skandal. Ich habe alles versucht   – mit einem befreundeten Arzt habe ich einen Plan ausgearbeitet. Ich habe sie zusammen auf eine Reise durch Spanien geschickt. Jeden Abend hat Francisco eine Injektion mit Spanischer Fliege erhalten und dann sind die beiden in ein angesehenes Bordell gegangen. Eine Woche lang schien alles gut zu gehen, aber es hat überhaupt nicht geholfen. Letzte Woche habe ich Francisco dann hier in diesem Zimmer, das heißt genauer gesagt da drüben im Bad«   – er zeigte mit dem Finger, wo sich das befand   – »gezwungen sich bis zur Taille auszuziehen und ihn mit der Peitsche gezüchtigt   –«
    |371| Erschöpft vor Aufregung setzte er sich in einen Sessel.
    »Das war dumm«, sagte Dick. »Und die Spanienreise war ebenfalls nutzlos   –« Er musste gegen eine plötzlich aufsteigende Heiterkeit ankämpfen. Dass sich ein halbwegs seriöser Arzt zu solchen dilettantischen Experimenten hergab! »Señor, ich muss Ihnen sagen, dass wir in solchen Fällen nicht

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