Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
folgten dicht hinter ihnen. Es war ein gelber, dunstiger Morgen; die Plätze und Arkaden waren äußerst belebt; Dick zog sich den Hut ins Gesicht und gab mit großen Schritten das Tempo vor, bis einer der kurzbeinigen Carabinieri hinter ihm her rannte und sich beschwerte. Swanson regelte das.
    »Ich habe Ihnen Schande gemacht, nicht wahr?«, sagte Dick freundlich.
    »Wenn Sie sich mit Italienern herumprügeln, können Sie leicht dabei sterben«, sagte Swanson verlegen. »Diesmal lässt man Sie vielleicht laufen, aber wenn Sie Italiener wären, würden Sie ganz schnell ein paar Monate Gefängnis kriegen.«
    »Sind Sie schon mal im Gefängnis gewesen?«
    Swanson lachte.
    »Ich mag ihn«, sagte Dick zu Collis Clay. »Er ist ein sehr sympathischer junger Mann und gibt den Leuten hervorragende |358| Ratschläge, aber ich wette, er war auch schon im Gefängnis. Wahrscheinlich sogar wochenlang.«
    Swanson lachte. »Ich meine bloß, dass Sie vorsichtig sein sollen. Sie wissen nicht, wie diese Leute sind.«
    »Oh, ich weiß genau, wie sie sind«, bellte Dick ärgerlich. »Sie sind gottverdammte Stinker.« Er wandte sich zu den Carabinieri um. »Habt ihr das gehört?«
    »Ich werde mich jetzt verabschieden«, sagte Swanson rasch. »Das habe ich Ihrer Schwägerin schon gesagt. Unser Rechtsanwalt wartet oben im Gerichtssaal auf Sie. Seien Sie bloß vorsichtig.«
    »Auf Wiedersehen.« Dick schüttelte ihm höflich die Hand. »Vielen Dank. Ich glaube, dass Sie eine große Zukunft haben   –«
    Mit einem weiteren Lächeln eilte Swanson davon und setzte erst allmählich wieder seine offizielle Miene allgemeiner Missbilligung auf.
    Sie kamen jetzt in einen Innenhof, von dem auf allen vier Seiten Treppenaufgänge zu den Gerichtssälen hinaufführten. Als sie die Steinplatten überquerten, erhoben sich zischende, stöhnende Missfallensbekundungen und Buhrufe voller Wut und Spott aus der wartenden Menge. Dick sah sich erschrocken um.
    »Was ist das?«, fragte er entsetzt.
    Einer der Carabinieri ermahnte die Leute, und die Beschimpfungen hörten auf.
    Sie kamen in den Gerichtssaal. Ein schäbiger, vom Konsulat beauftragter italienischer Rechtsanwalt redete lange auf den Richter ein, während Dick und Collis abseits standen. Jemand, der Englisch sprach, wandte sich vom Fenster ab, das auf den Hof hinausging, und erklärte ihnen, was die Buhrufe ausgelöst hatte. Ein Mann aus Frascati, der ein |359| fünfjähriges Kind vergewaltigt und ermordet hatte, sollte an diesem Tag vorgeführt werden   – die Menge hatte angenommen, dass Dick dieser Mann war.
    Innerhalb weniger Minuten verkündete der Rechtsanwalt, dass Dick wieder frei wäre   – das Gericht war der Ansicht, er sei genug bestraft. 4*
    »Genug bestraft?«, schrie Dick. »Wofür denn?«
    »Kommen Sie, wir gehen«, sagte Collis. »Jetzt können Sie sowieso nichts machen.«
    »Aber was hab ich denn getan, außer dass ich einen Streit mit irgendwelchen Taxifahrern gehabt habe?«
    »Sie behaupten, Sie wären auf einen Polizisten in Zivil zugegangen, als ob Sie ihm die Hand schütteln wollten, und hätten ihn dann geschlagen   –«
    »Das stimmt nicht! Ich hab ihm gesagt, dass ich ihm eine reinhauen würde   – ich wusste ja nicht, dass er Polizist war.«
    »Gehen Sie jetzt lieber«, sagte der Rechtsanwalt.
    »Kommen Sie.« Collis nahm ihn am Arm und führte ihn die Treppe hinunter.
    »Ich will eine Rede halten«, schrie Dick. »Ich will diesen Leuten erklären, wie ich ein fünfjähriges Mädchen geschändet habe. Vielleicht hab ich’s ja wirklich getan   –«
    »Kommen Sie.«
    Baby wartete im Taxi mit einem Arzt. Dick mochte sie nicht ansehen und konnte den Doktor nicht leiden, dessen strenge Miene ihn als einen der unerträglichsten europäischen Typen entlarvte: den lateinischen Moralisten. Dick fasste seine Version des Desasters noch einmal zusammen, aber niemand wollte dazu etwas sagen.
    In seinem Zimmer im »Hotel Quirinal« wusch ihm der Arzt das restliche Blut und den öligen Schweiß ab, schiente seine Nase und die gebrochenen Rippen und Finger, desinfizierte |360| die kleineren Wunden und legte hoffnungsvoll einen Verband auf das Auge. Dick bat um ein Viertel-Gran Morphium, denn er war immer noch hellwach und voller nervöser Energie. Mit Hilfe des Morphiums sank er in Schlaf; Collis und der Arzt gingen, während Baby noch wartete, bis eine Krankenschwester aus dem englischen Hospital kam. Es war eine harte Nacht für sie gewesen, aber Baby hatte jetzt die

Weitere Kostenlose Bücher