Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
unseren spielen   –«, aber Franz hatte genug gehört.
    »Halt den Mund   – solches Gerede kann mir beruflich schaden, schließlich ist es Nicoles Geld, dem wir diese Klinik verdanken. Lass uns jetzt zu Mittag essen.«
    Käthe spürte, dass ihr Ausbruch unklug gewesen war, aber die letzte Bemerkung ihres Mannes erinnerte sie daran, dass auch andere Amerikaner Geld hatten, und eine |366| Woche später fand sie einen neuen Ansatzpunkt für ihre Abneigung gegenüber Nicole.
    Die Gelegenheit dazu bot ein Abendessen, das sie aus Anlass von Dicks Rückkehr veranstaltet hatten. Kaum dass die Schritte der Divers auf dem Kiesweg verhallt waren, schloss sie die Tür.
    »Hast du seine Augen gesehen?«, fragte sie ihren Mann. »Der ist doch auf einer Sauftour gewesen!«
    »Sachte!«, bat Franz. »Dick hat mir sofort davon erzählt, als er nach Hause gekommen ist. Er hat auf der Überfahrt ein bisschen geboxt. Viele amerikanische Passagiere boxen, wenn sie auf den transatlantischen Überseedampfern sind.«
    »Und das soll ich glauben?«, höhnte sie. »Er hat Schmerzen, wenn er den linken Arm bewegt, und an der Schläfe hat er eine Wunde   – man sieht noch, wo die Haare wegrasiert worden sind.«
    Franz hatte diese Details nicht bemerkt.
    »Ach, nein?«, sagte Käthe. »Glaubst du, so etwas ist gut für die Klinik? Heute Abend hat er nach Schnaps gerochen, und ich habe das auch schon bei anderen Gelegenheiten bemerkt, seit er wieder da ist.«
    Sie sprach jetzt langsamer, um der Aussage, die sie jetzt machte, noch mehr Gewicht zu verleihen: »Dick ist kein ernst zu nehmender Mensch mehr.«
    Franz zuckte die Schultern bis ins obere Stockwerk hinauf, um die Hartnäckigkeit seiner Frau abzuschütteln. Erst im Schlafzimmer drehte er sich zu ihr um. »Natürlich ist er ernst zu nehmen. Er ist ein brillanter Kopf. Von allen, die in den letzten Jahren ihr Neuropathologie-Examen in Zürich gemacht haben, wird er als der Brillanteste angesehen. Er ist viel genialer, als ich jemals sein könnte.«
    »Es ist eine Schande, so was zu sagen!«
    |367| »Es ist die Wahrheit   – eine Schande wäre es, wenn man es nicht zugeben würde. Wenn Fälle besonders kompliziert sind, wende ich mich an Dick. Seine Aufsätze sind immer noch maßgeblich   – da kannst du in jeder medizinischen Bibliothek fragen. Die meisten Studenten glauben, er wäre Engländer   – sie können gar nicht glauben, dass so viel Gründlichkeit aus Amerika kommt.« Er ächzte behaglich und zog seinen Schlafanzug unter dem Kopfkissen vor. »Ich verstehe nicht, warum du so redest, Käthe   – ich dachte, du magst ihn.«
    »Schäm dich!«, sagte Käthe. »Du bist doch der viel Solidere, du machst die Arbeit. Es ist wie bei Hase und Schildkröte   – und wenn du mich fragst: Der Hase muss das Rennen bald aufgeben.«
    »Unsinn.«
    »Wie du meinst. Es ist aber wahr.«
    Mit der offenen Hand schlug er die Luft nieder. »Schluss!«
    Im Endergebnis hatten sie ihre Standpunkte ausgetauscht wie Debattenredner. Käthe musste sich eingestehen, dass sie Dick gegenüber zu hart urteilte, schließlich bewunderte und verehrte sie ihn, schon weil er sie verstand und zu würdigen wusste. Franz hingegen konnte seinen Partner, als Käthes Ideen eine Weile nachgewirkt und sich bei ihm festgesetzt hatten, nie mehr als ernst zu nehmenden Menschen betrachten. Und als einige Zeit vergangen war, hatte er sich selbst eingeredet, dass er das schon immer gewusst hätte.

2
    Was Dick seiner Frau über die römische Katastrophe erzählte, war eine stark bereinigte Version der Geschichte   – angeblich |368| war er aus reiner Menschenfreundlichkeit einem betrunkenen Freund beigesprungen. Er konnte sich darauf verlassen, dass Baby Warren den Mund halten würde, denn er hatte ihr lebhaft ausgemalt, welche schrecklichen Folgen die Wahrheit bei Nicole auslösen würde. All dies war allerdings nur ein geringes Problem, verglichen mit dem nachhaltigen Effekt der Episode auf ihn selbst.
    Seine Reaktion bestand darin, dass er sich mit harter Arbeit bestrafte, sodass Franz bei seinem Versuch, mit ihm zu brechen, keine Grundlage für eine Meinungsverschiedenheit fand. Keine Freundschaft, die diesen Namen verdient, ist jemals in einer Stunde zerstört worden, ohne dass schmerzliches Fleisch dabei zerrissen wurde   – daher redete Franz sich mit zunehmender Überzeugungskraft ein, dass Dick mit solcher intellektueller und emotionaler Geschwindigkeit unterwegs war, dass die Vibrationen auch ihn selbst

Weitere Kostenlose Bücher