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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Genugtuung, zu wissen, dass sie künftig   – trotz all der Verdienste, die Dick sich erworben hatte   – eine moralische Überlegenheit ihm gegenüber besaßen   – so lange wie er von Nutzen war.

|361| Buch III

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    Käthe Gregorivius überholte ihren Mann auf dem Weg zu ihrer Dienstvilla.
    »Wie geht’s Nicole?«, fragte sie zurückhaltend, aber so außer Atem, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass sie die ganze Zeit schon über diese Frage nachgedacht hatte, als sie hinter ihrem Mann herlief.
    Franz sah sie überrascht an. »Nicole ist doch nicht krank. Weshalb fragst du, mein Schatz?«
    »Du besuchst sie so oft   – deshalb dachte ich, sie wäre krank.«
    »Lass uns zu Hause darüber sprechen.«
    Käthe stimmte ihm sanftmütig zu. Sein Arbeitszimmer war im Verwaltungsgebäude und die Kinder waren mit dem Hauslehrer im Wohnzimmer, daher zogen sie sich nach oben zurück, ins Schlafzimmer.
    »Entschuldige, Franz«, sagte Käthe, ehe er etwas sagen konnte. »Entschuldige, Liebling, ich hatte kein Recht, das zu sagen. Ich kenne meine Pflichten, und ich bin stolz darauf. Aber zwischen Nicole und mir ist etwas Ungutes.«
    »Vögel in ihren kleinen Nestern sollen nicht streiten!«, donnerte Franz, merkte dann aber selbst, dass sein Tonfall nicht ganz angemessen war, und wiederholte seine Anweisung in dem rhythmischen, pädagogisch wertvollen Singsang, mit dem sein alter Lehrer, Professor Dohmler, auch noch die plattesten Sprüche zu einer gewissen Bedeutsamkeit aufgebläht hatte: »Vögel   – in   – ihren   – kleinen   – Nestern   – sollen   –
nicht   – streiten

    |364| »Das weiß ich. Du kannst nicht sagen, dass ich ihr gegenüber nicht höflich wäre.«
    »Aber ich sehe, dass es dir an praktischem Verstand fehlt. Nicole ist zur Hälfte Patientin   – sie wird womöglich ihr ganzes Leben lang so etwas wie eine Patientin bleiben. In Dicks Abwesenheit bin ich für sie verantwortlich.« Er zögerte; manchmal machte er sich einen Spaß daraus, Neuigkeiten vor Käthe zurückzuhalten. »Heute Morgen habe ich ein Telegramm aus Rom erhalten. Dick hat die Grippe gehabt, wird aber morgen die Heimreise antreten.«
    Käthe war erleichtert und setzte das Gespräch weniger ängstlich fort: »Ich glaube, Nicole ist gar nicht so krank, wie man denkt   – sie benutzt ihre Krankheit als Machtinstrument. Sie sollte zum Film gehen, so wie deine Norma Talmadge   – alle Amerikanerinnen wären glücklicher, wenn sie beim Film wären.«
    »Bist du eifersüchtig auf Norma Talmadge, eine Frau aus Zelluloid?«
    »Ich mag Amerikaner nicht. Sie sind so egoistisch, e-g-o-istisch!«
    »Magst du Dick?«
    »Ja«, gab sie zu. »Dick mag ich, er ist anders, er denkt an andere.«
    ›Genau wie Norma Talmadge‹, dachte Franz. Norma Talmadge war bestimmt auch jenseits ihrer Schönheit eine edle, vornehme Frau. Wahrscheinlich wurde sie gezwungen, dämliche Rollen zu spielen; es musste ein Privileg sein, Norma Talmadge zu kennen.
    Aber Käthe hatte Norma Talmadge inzwischen vergessen, obwohl sie sich über diesen strahlenden Schatten einst schrecklich gegrämt hatte, als sie eines Abends nach dem Kino mit dem Auto aus Zürich zurückkamen. »Dick |365| hat Nicole wegen ihres Geldes geheiratet«, sagte sie. »Das ist seine Schwäche   – hast du das nicht selbst mal gesagt?«
    »Du bist gemein.«
    »Gut, das hätte ich nicht sagen sollen. Wir müssen alle wie die Vögel zusammenleben, ganz wie du gesagt hast. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn Nicole sich so komisch benimmt. Wenn sie plötzlich zurückweicht, als ob ich
schlecht rieche

    Käthe hatte einen sehr konkreten Sachverhalt angesprochen. Sie erledigte fast alle Hausarbeit selbst, und da sie sparsam war, kaufte sie nicht sehr oft neue Kleider. Jedes amerikanische Ladenmädchen, das zweimal täglich die Unterwäsche wechselt und jeden Abend Hemdchen und Höschen wäscht, hätte an Käthe einen leichten Hauch von gestrigem Schweiß wahrgenommen   – nicht eigentlich einen
Geruch
als vielmehr eine leicht ammoniakhaltige Erinnerung an die Unendlichkeit der Arbeit und des Verfalls. Für Franz war das so natürlich wie der dicke, schwarze Duft ihrer Haare, und er hätte ihn genauso vermisst; aber für Nicole, die schon von klein auf den Geruch der Finger des Kindermädchens gehasst hatte, das ihr beim Anziehen half, war es eine Beleidigung, die kaum zu ertragen war.
    »Und sie will auch nicht«, fuhr Käthe fort, »dass ihre Kinder mit

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