Zaertlich ist die Nacht
robust geworden wie jedes andere amerikanische Kind. Er war mit beiden zufrieden, ließ sie das aber nur stillschweigend wissen. Es wurde gute Führung von ihnen verlangt und Verstöße dagegen nicht zugelassen. »Entweder lernt man zu Hause, sich zu benehmen«, sagte Dick, »oder die Welt bringt es einem mit der Peitsche bei – und das kann ziemlich wehtun. Es ist mir egal, ob Topsy mich ›anbetet‹ oder nicht. Ich erziehe sie ja nicht dazu, dass sie meine Frau wird.«
Ein anderer Faktor, der diesen Sommer und Herbst prägte, war eine Fülle von Geld. Durch den Verkauf ihres Anteils an der Klinik und die Hochkonjunktur in Amerika hatten sie jetzt so viel davon, dass das Geldausgeben und die Pflege des Besitzes eine in sich schon erschöpfende |391| Tätigkeit wurde. Der Stil, in dem sie reisten, war schwindelerregend.
Betrachten wir sie zum Beispiel in dem Augenblick, in dem der Zug in Bozen seine Fahrt verlangsamt, wo sie zwei Wochen zu bleiben gedenken. Der Auszug aus dem Schlafwagen hat bereits an der italienischen Grenze begonnen. Das Dienstmädchen der Gouvernante und Madame Divers Dienstmädchen sind aus der Zweiten Klasse gekommen, um mit dem Gepäck und den Hunden zu helfen. Mademoiselle Bellois wird das Handgepäck überwachen und die Terrier dem einen Dienstmädchen und die beiden Pekinesen dem anderen überlassen. Es muss keineswegs ein Zeichen geistiger Armut sein, wenn sich eine Frau mit so viel Trubel umgibt – es kann durchaus auch ein Übermaß an Interessen sein, und abgesehen von ihren Krankheitsattacken war Nicole durchaus in der Lage, das alles zu dirigieren – unter anderem auch die großen Gepäckmengen. Aus dem Gepäckwagen wurden gerade vier Garderobenkoffer, ein Schuhkoffer, drei Koffer mit Hüten sowie zwei einzelne Hutschachteln, eine Truhe mit den Sachen der Dienstboten, ein transportabler Aktenschrank, ein Medizinschrank, ein Behälter für die Spirituslampen, ein Picknickkoffer, vier gut verpackte Tennisschläger in ihren Spannrahmen, ein Grammofon und eine Schreibmaschine entladen. Wo noch Platz war, standen zwei Dutzend weitere Reisetaschen und Handkoffer, alle sorgfältig nummeriert bis hinunter zum Anhänger am Futteral für den Gehstock. Auf diese Weise konnte man auf jedem x-beliebigen Bahnsteig innerhalb von zwei Minuten kontrollieren, ob alles da war, was zur Aufbewahrung gegeben werden konnte und was jederzeit verfügbar sein musste. Entschieden wurde das anhand der ständig revidierten, in Nicoles Handtasche befindlichen, messinggerahmten |392| Listen für Reisen mit kleinem und Reisen mit großem Gepäck. Sie hatte das System schon als Kind erfunden, als sie mit ihrer sterbenskranken Mutter durch die Welt fuhr. Es konnte sich durchaus mit dem logistischen System eines Quartiermeisters messen, der an die Ausrüstung und die Mägen von dreitausend Mann denken musste.
Die Familie Diver mit ihrem Gefolge stieg aus dem Zug und ergoss sich in die frühe Dämmerung des weiten Gebirgstals. Die Einwohner des Städtchens sahen der Ausschiffung mit demselben Staunen zu, mit dem ein Jahrhundert zuvor die italienische Pilgerreise eines Lord Byron verfolgt worden war. Ihre Gastgeberin war die Contessa di Minghetti, die ehemalige Mary North. Die Reise, die in einem Zimmer über dem Laden eines Tapetenhändlers in Newark begonnen hatte, war in eine ganz außergewöhnliche Ehe gemündet.
Conte di Minghetti war nur ein vom Papst verliehender Titel – der Reichtum von Marys neuem Ehemann rührte daher, dass er der Herrscher über große Manganvorkommen in Südwest-Asien war. Er war nicht hellhäutig genug, um südlich der Mason-Dixon-Line in einem Schlafwagen reisen zu dürfen, sondern gehörte zu jenen kabylisch-berberisch-sabäisch-hinduistischen Völkern, die sich von Nordafrika bis nach Indien erstrecken und den Europäern aus irgendeinem Grund sympathischer sind als die Mischlingsgesichter der Hafenstädte.
Als diese beiden, von Osten und Westen kommenden fürstlichen Häuser sich auf dem Bahnsteig begegneten, schien der Glanz der Divers im Vergleich von geradezu planwagenmäßiger Schlichtheit zu sein. Ihre Gastgeber wurden nicht nur von einem italienischen Majordomus mit einem herrscherlichen Holzstab begleitet, sondern auch |393| von vier beturbanten Dienern auf Motorrädern und zwei halb verschleierten Damen, die respektvoll einige Schritte hinter Mary standen und Nicole mit einem
Salaam!
und einer Verbeugung begrüßten, welche diese erschrocken zurückspringen
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