Zaertlich ist die Nacht
gehen.«
»Sie
bitten
mich? Wir sind längst dabei zu gehen!«
»Wenn Sie sich etwas mäßigen könnten, würden wir Ihnen die aktuellen Behandlungsergebnisse mitteilen … Natürlich möchten wir Ihren Sohn angesichts Ihrer Einstellung nicht als Patienten behalten –«
»Sie wagen es, mir etwas von Mäßigung zu erzählen?«
Dick rief Doktor Ladislau heran. »Könnten Sie bitte die Klinik bei der Verabschiedung des Patienten und seiner Familie vertreten?«
Er verbeugte sich leicht und ging in sein Büro. Als er die Tür geschlossen hatte, blieb er starr stehen. Er beobachtete, wie sie davonfuhren: die grässlichen Eltern und der glatte, degenerierte Sohn. Es war sehr vorhersehbar, was jetzt geschehen würde: Die Eltern würden halb Europa abgrasen und Leute, die ihnen weit überlegen waren, mit Ignoranz und hartem Geld tyrannisieren. Was Dick nach dem Verschwinden der Karawane allerdings sehr beschäftigte, war die Frage, inwieweit er das provoziert hatte. Er trank zu jeder Mahlzeit Bordeaux, nahm abends auch gern einen Schlaftrunk in Form von heißem Rum und nippte nachmittags gelegentlich an einem Gin – Gin war am wenigsten im Atem zu riechen. Im Durchschnitt nahm er täglich etwa zweihundert Gramm Alkohol zu sich, weit mehr, als sein Körper verbrennen konnte.
Er wollte das durchaus nicht verharmlosen, deshalb setzte er sich an seinen Schreibtisch und verschrieb sich selbst |386| eine Art Entziehungskur, die seinen täglichen Alkoholkonsum halbieren würde. Ärzte, Berufskraftfahrer und protestantische Geistliche durften nie nach Schnaps riechen, Maler, Makler und Kavallerieoffiziere hingegen schon; letztlich hatte Dick sich nur eine Unbesonnenheit vorzuwerfen, fand er. Aber geklärt war die Angelegenheit noch keineswegs, als eine halbe Stunde später Franz die Auffahrt heraufrollte. Er war von zwei Wochen Alpinismus bestens gestärkt und so begierig, die Arbeit wieder aufzunehmen, dass sie ihn schon überfiel, noch ehe er sein Büro erreichte. Ebendort suchte Dick ihn jetzt auf.
»Na, wie war der Mount Everest?«
»So wie wir unterwegs waren, hätten wir tatsächlich auch den Mount Everest angehen können. Wir haben daran gedacht. Wie geht’s denn so? Wie geht’s Nicole? Wie geht’s meiner Käthe?«
»Zu Hause läuft alles glatt, aber mein Gott, Franz, heute Morgen hatten wir eine scheußliche Szene.«
»Wieso? Was war denn los?«
Dick marschierte im Zimmer auf und ab, während Franz zu Hause anrief. Nachdem der familiäre Austausch vorbei war, sagte Dick: »Es hat Ärger gegeben – der Morris-Junge ist abgeholt worden.«
Franzens heitere Miene verdunkelte sich. »Ich weiß. Ich habe Ladislau auf der Terrasse getroffen.«
»Was hat er gesagt?«
»Nur, dass der junge Morris weg ist, und dass du mir die Einzelheiten erzählen würdest. Was war denn los?«
»Die üblichen zusammenhanglosen Begründungen.«
»Das war ein richtiger Teufel, der Junge.«
»Er war ein Fall für die Anästhesie«, bestätigte Dick. »Aber als ich dazugekommen bin, hatte der Vater unseren |387| Ladislau schon völlig zur Schnecke gemacht. Was sollen wir mit Ladislau machen? Sollen wir ihn behalten? Ich würde sagen, nein – er hat kein Rückgrat und scheint mit nichts fertig zu werden.« Dick stand schon am Rand der Wahrheit, bog dann aber noch einmal ab, um alles rekapitulieren zu können. Franz balancierte auf der Schreibtischecke – immer noch im Staubmantel und Reisehandschuhen.
»Unter anderem hat dieser Junge seinem Vater gegenüber behauptet, dass dein berühmter Partner ein Säufer sei«, sagte Dick. »Der Mann ist fanatischer Anti-Alkoholiker, und sein Sprössling scheint Spuren von
vin-du-pays
bei mir entdeckt zu haben.«
Franz setzte sich auf einen Stuhl und knabberte auf seiner Unterlippe. »Das kannst du mir später mal ausführlich erzählen«, sagte er.
»Und warum nicht jetzt gleich?«, sagte Dick. »Du musst doch wissen, dass ich der Letzte bin, der zum Alkoholmissbrauch neigt.« Er und Franz sahen sich an, das eine glitzernde Augenpaar gegen das andere. »Ladislau hat zugelassen, dass sich der Mann so in Rage geredet hat, dass ich von vornherein in der Defensive war. Das Ganze hätte leicht vor den Patienten passieren können, und du kannst dir sicher vorstellen, wie schwierig es sein kann, wenn man sich in so einer Lage verteidigen muss.«
Franz zog seine Handschuhe und den Mantel aus. Er ging zur Tür und sagte zu seiner Sekretärin: »Bitte keine Störungen jetzt.« Dann
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