Zaertlich ist die Nacht
ließen.
Sowohl für Mary als auch für die Divers war diese Begrüßung leicht komisch, und Mary ließ zunächst auch ein nervöses, apologetisches Kichern vernehmen, aber als sie dann ihren Gemahl mit seinem vollen asiatischen Titel vorstellte, klang ihre Stimme sehr stolz und hochfliegend.
Als sie sich in ihrer Suite zum Dinner umzogen, sahen Dick und Nicole sich ehrfürchtig an und schnitten Grimassen: Diejenigen Reichen, die demokratisch erscheinen möchten, tun gern so, als ob sie von der Angeberei der anderen ganz übermäßig beeindruckt wären, wenn sie unter sich sind.
»Die kleine Mary North weiß genau, was sie will«, murmelte Dick aus seinem Rasierschaum heraus. »Abe hat sie erzogen, und jetzt ist sie mit einem Buddha verheiratet. Wenn Europa je bolschewistisch wird, wird sie bestimmt Stalins Braut.«
Nicole schaute von ihrem Frisiertisch herüber. »Hüte deine Zunge, ja?« Aber sie lachte dabei. »Sie sind wirklich sehr großartig. Die Kriegsschiffe schießen Salut für sie oder so etwas. In London fährt Mary im königlichen Bus.«
»Hervorragend«, sagte er, und als er hörte, wie Nicole an der Tür nach ein paar Nadeln fragte, rief er: »Kannst du auch um einen Whisky bitten? Die Bergluft macht mir zu schaffen.«
»Sie kümmert sich drum«, rief Nicole durch die Badezimmertür. »Es war eine von diesen Frauen am Bahnhof. Aber jetzt ohne Schleier.«
|394| »Was hat dir Mary von ihrem Leben erzählt?«, fragte er.
»Nicht sehr viel – sie hat sich mehr für das Leben der besseren Kreise bei uns interessiert. Sie hat mich nach meiner Ahnentafel gefragt und dergleichen, als ob ich davon eine Ahnung hätte. Wie es scheint, hat ihr Ehemann zwei tiefbraune Kinder aus einer anderen Ehe; eins davon hat irgendeine asiatische Krankheit, und die Ärzte wissen nicht, was es ist. Ich muss die Kinder warnen. Es klingt sehr mysteriös. Mary wird bestimmt merken, was wir davon halten.« Sie stand einen Augenblick da und machte sich Sorgen.
»Sie wird das bestimmt verstehen«, versicherte Dick. »Vielleicht ist das Kind ja auch bettlägerig.«
Beim Abendessen unterhielt Dick sich mit Hosain, der auf einer englischen Public School gewesen war. Hosain wollte über die Wall Street und über Hollywood reden, und Dick, der seine Fantasie mit Champagner aufschäumte, erzählte ihm abenteuerliche Geschichten.
»Billionen?«, fragte Hosain.
»Trillionen«, versicherte Dick.
»Es war mir gar nicht bewusst –«
»Na ja, vielleicht doch nur Milliarden«, gab Dick zu. »Jeder Hotelgast erhält einen Harem – oder so etwas Ähnliches.«
»Auch die Leute, die keine Regisseure und Schauspieler sind?«
»Jeder Hotelgast – sogar Handelsreisende. Ich sage Ihnen, die wollten mir ein Dutzend Kandidatinnen raufschicken, aber das hat Nicole nicht zugelassen.«
Als sie wieder in ihrer Suite waren, machte ihm Nicole Vorwürfe. »Warum hast du so viele Highballs getrunken? Und warum hast du in seiner Gegenwart das Wort ›Kanake‹ gebraucht?«
|395| »Entschuldige, das war ein Versprecher. Ich meinte ›Pimock‹.«
»Dick, das passt überhaupt nicht zu dir. Du bist doch sonst nicht so.«
»Noch mal Entschuldigung. Ich bin eigentlich fast überhaupt nicht mehr so, wie ich bin.«
In der Nacht öffnete Dick ein Badezimmerfenster, das auf einen engen, röhrenförmigen Innenhof des Schlosses hinausging, der zwar so grau wie ein Rattenfell, jetzt aber von einem eigenartigen, klagenden, östlichen Singsang mit vielen
ch’s
und
l’s
erfüllt war, der so traurig klang wie eine Flöte. Dick lehnte sich hinaus, konnte die beiden Männer aber nicht sehen; die Töne hatten offensichtlich eine religiöse Bedeutung, und er war emotional so erschöpft, dass er sie für sich mitbeten ließ, auch wenn er nicht wusste, worum – es sei denn darum, dass seine zunehmende Melancholie ihn nicht gänzlich verschlingen sollte.
Am nächsten Tag schossen sie auf einem dünn bewaldeten Abhang magere, kleine Vögel, offenbar arme Verwandte des Rebhuhns. Die Jagd sollte wohl an eine englische Treibjagd erinnern, aber die Treiber waren so ungeschickt, dass Dick sie nur deshalb verfehlte, weil er direkt nach oben schoss.
Bei ihrer Rückkehr wartete Lanier in ihrer Suite. »Vater, du hast mir gesagt, ich soll euch sofort Bescheid sagen, wenn wir in die Nähe des kranken Jungen kommen.«
Nicole fuhr alarmiert herum.
»Ja, Mutter?«, fuhr Lanier fort und drehte sich zu ihr um. »Der Junge nimmt jeden Abend ein Bad, und heute
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