Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
dass Dick die Initiative ergreifen würde, aber dass sein Gesicht halb rasiert und ihre Haare nur halb geschnitten waren, schien ihn nicht zu stören, und er saß einfach nur da.
    »Ist es nicht wahr, dass du mit mir nicht mehr glücklich bist?«, sagte sie. »Ohne mich könntest du zu deiner Arbeit zurückkehren. Du könntest viel besser arbeiten, wenn du dir keine Sorgen um mich machen würdest.«
    Tommy bewegte sich ungeduldig. »Das führt doch zu nichts. Nicole und ich lieben einander, und nur darum geht es.«
    »Na schön«, sagte der Doktor. »Dann ist ja alles geklärt, und wir können zurück zum Friseur, oder nicht?«
    Aber Tommy wollte einen richtigen Streit: »Es gibt da noch einige Punkte   –«
    |469| »Nicole und ich werden das klären«, sagte Dick gleichmütig. »Mach dir keine Gedanken   – im Prinzip bin ich einverstanden, und Nicole und ich verstehen uns gut. Es ist sicher angenehmer, wenn wir das nicht zu dritt erörtern.«
    Widerwillig musste Tommy dieser Logik zustimmen, aber als echter Franzose konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sich aufzuspielen. »Ich hoffe, es ist dir klar«, sagte er, »dass ich ab sofort Nicoles Beschützer bin, bis alle Einzelheiten geklärt sind. Und wenn du die Tatsache ausnutzen solltest, dass ihr immer noch im selben Haus wohnt, werde ich dich unweigerlich streng zur Verantwortung ziehen.«
    »Ich war noch nie daran interessiert, mich auf trockene Schöße zu stürzen«, erwiderte Dick. Er nickte und ging in Richtung des Hotels davon, während Nicoles allerweißeste Augen ihm folgten.
    »Er hat sich ganz fair verhalten«, musste Tommy zugeben. »Liebling, sind wir heute Nacht zusammen?«
    »Ich denke schon.«
    Und so war es   – mit einem Minimum an Drama   – geschehen; Nicole fühlte sich überrumpelt, weil ihr plötzlich klar wurde, dass Dick seit der Episode mit der Kampfersalbe alles so vorhergesehen hatte. Zugleich war sie aber auch glücklich erregt, und der eigenartige kleine Wunsch, das alles Dick zu erzählen, legte sich bald wieder. Dennoch folgten ihre Augen seiner Gestalt, bis sie nur noch ein Punkt war, der in der Menge der anderen sommerlichen Punkte verschwand.

12
    Den Tag seiner Abreise von der Riviera verbrachte Doktor Diver ausschließlich mit seinen Kindern. Er war nicht mehr |470| so jung, dass er einen Haufen Träume und netter Gedanken über sich selbst gehabt hätte, deshalb wollte er sich gut an sie erinnern. Man hatte ihnen erzählt, dass sie im Winter bei ihrer Tante in London sein würden und ihn dann bald in Amerika besuchen könnten. Und das Fräulein würde nicht ohne seine Einwilligung entlassen werden können.
    Er war froh, dass er seiner Tochter so viel hatte geben können   – bei dem Jungen war er sich nicht so sicher. Er hatte nie wirklich gewusst, was er mit den Kleinen anfangen sollte, die ständig an einem hochkletterten, sich an einen klammerten und nach der Brust suchten. Aber jetzt, als er ihnen Lebewohl sagte, hätte er ihnen am liebsten die schönen Köpfe vom Hals gehoben und sie stundenlang an sich gedrückt.
    Er umarmte den alten Gärtner, der vor sechs Jahren den ersten Garten bei der Villa Diana angelegt hatte; er küsste das provenzalische Mädchen, das mit den Kindern half. Sie war seit fast zehn Jahren bei ihnen, sie fiel auf die Knie und heulte, bis Dick sie hochzog und ihr dreihundert Francs gab. Nicole war wie verabredet im Bett geblieben und schlief   – er hinterließ einen Brief für sie, und einen weiteren für Baby Warren, die gerade aus Sardinien zurück war und ebenfalls im Haus war. Schließlich goss er sich ein großes Glas Brandy aus einer meterhohen Zehn-Liter-Flasche ein, die ihnen mal jemand geschenkt hatte.
    Schließlich brachte er seine Koffer zum Bahnhof in Cannes und beschloss, einen letzten Blick auf den Strand beim »Hotel Gausse« zu werfen.
     
    Als Nicole und ihre Schwester an diesem Morgen zum Strand kamen, war er nur mit einer kleinen Vorhut von Kindern bevölkert. Eine grellweiße Sonne, deren Umriss |471| nur schwach in einem grellweißen Himmel brannte, stieg über dem windlosen Tag auf. Die Kellner legten zusätzliches Eis in die Bar; ein amerikanischer Fotograf von AP hatte sich in den prekären Schatten geflüchtet und hob jedes Mal den Kopf, wenn Schritte die Treppe herunterkamen. Seine prospektiven Bildmotive schliefen aber noch in den abgedunkelten Zimmern des Hotels, um das Opiat der Morgendämmerung abzubauen.
    Als Nicole auf den Strand hinaustrat, sah sie

Weitere Kostenlose Bücher