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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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»Sie liebt mich.«
    Die beiden Männer betrachteten sich mit einer eigenartigen Unfähigkeit, sich mitzuteilen. Männer in dieser Lage haben sich wenig zu sagen, denn ihre Verbindung ist indirekt und besteht eigentlich nur darin, was sie von der infrage stehenden Frau jeweils besessen haben oder besitzen werden. Ihre Gefühle werden durch die gespaltene Persönlichkeit der Frau vermittelt wie durch eine schlechte Telefonverbindung.
    |466| »Moment«, sagte Dick.
»Donnez moi du gin et le siphon.«
    »Bien, Monsieur.«
    »Gut, erzähl weiter, Tommy.«
    »Es liegt für mich auf der Hand, dass deine Ehe mit Nicole am Ende ist. Sie ist fertig mit dir. Ich habe fünf Jahre darauf gewartet.«
    »Was sagt denn Nicole?«
    Sie schauten sie beide an.
    »Ich habe Tommy sehr lieb gewonnen, Dick.«
    Er nickte.
    »Ich bin dir doch längst egal«, fuhr sie fort. »Alles ist nur noch Gewohnheit. Nach der Geschichte mit Rosemary war es nicht mehr dasselbe.«
    Diesen Aspekt fand Tommy nicht sehr attraktiv, deshalb fuhr er heftig dazwischen. »Du verstehst Nicole nicht. Du behandelst sie immer noch wie eine Patientin, weil sie mal krank war.«
    Plötzlich wurden sie von einem aufdringlichen Amerikaner von unappetitlichem Äußeren unterbrochen, der ihnen den ›Herald‹ und die ›New York Times‹ »frisch aus Amerika« verkaufen wollte.
    »Na, Kumpel? Ich hab alles für euch, was ihr braucht? Seid ihr schon lange da?«
    »Cessez celà! Allez ouste!«
, schrie Tommy. Und dann zu Dick: »Keine Frau sollte solche Dinge ertragen müssen, wie   –«
    »Hört mal, Kumpel«, mischte der Zeitungsverkäufer sich wieder ein. »Ihr denkt vielleicht, ich verschwende bloß meine Zeit   – aber das stimmt nicht.« Er zog einen grauen Zeitungsausschnitt aus seiner Brieftasche, den Dick schon einmal gesehen hatte. Es war eine Karikatur, die Millionen von Amerikanern zeigte, die mit Säcken voller Dollars und |467| Gold aus den Überseedampfern quollen. »Davon werd ich mir meinen Teil holen«, sagte der Mann. »Das tue ich. Ich bin heute bloß wegen der Tour de France aus Nizza herübergekommen.«
    Tommy verscheuchte den Kerl mit einem wütenden
»Allez-vous-en!«
, und im selben Augenblick erkannte Dick den Mann wieder: Es war derselbe, der ihn vor vier Jahren in der Rue des Saints-Anges angesprochen hatte.
    »Wann kommt die Tour de France 1* denn hierher?«, rief er hinter ihm her.
    »Jeden Augenblick, Kumpel.« Der Mann verzog sich mit einem letzten fröhlichen Winken, und Tommy wandte sich wieder Dick zu.
    »Elle doit avoir plus avec moi qu’avec vous.«
    »Sprich Englisch! Was soll das heißen
doit avoir

    »Na, dass sie mit mir glücklicher wäre.«
    »Gut, ihr wärt eben neu füreinander. Aber Nicole und ich sind sehr glücklich zusammen gewesen, Tommy.«
    »L’amour de famille«
, sagte Tommy höhnisch.
    »Und wenn du mit Nicole verheiratet bist, wäre das dann keine
l’amour de famille
?« Die zunehmende Unruhe auf der Straße ließ ihn abbrechen. Auf der Promenade entstand ein Gedränge, alle möglichen Leute waren aus ihrer privaten Siesta erwacht und säumten die Fahrbahn.
    Kleine Jungen flitzten auf Fahrrädern vorbei, offene Automobile voller exquisit aufgeputzter Sportler glitten die Straße herauf und schrilles Hupen kündigte die Ankunft des Rennens an. Aber erst als auch noch die letzten Köche in Unterhemden in den Türen ihrer Restaurants erschienen waren, kam die Prozession an der Biegung der Straße in Sicht.
    Erst kam ein einzelner Fahrer in einem roten Trikot, der |468| konzentriert und zuversichtlich aus der im Westen stehenden Sonne herausstrampelte und in einer melodischen Wolke von hell schnatterndem Beifall vorbeifuhr. Dann kamen drei zusammen in einer Harlekinade von verblassten Farben, mit gelbem Staub und Schweiß verkrusteten Beinen, ausdruckslosen Gesichtern und schweren, unendlich müden Augen.
    Tommy starrte Dick an und sagte: »Ich bin überzeugt, Nicole will sich scheiden lassen   – ich gehe davon aus, du machst keine Schwierigkeiten?«
    Nach der Führungsspitze kam jetzt ein Feld von fünfzig Fahrern, das sich über zweihundert Meter hinzog; einige lächelten verlegen, andere waren offensichtlich erschöpft, die meisten schienen müde und gleichgültig. Ein Gefolge von kleinen Jungen sauste vorbei, dann kamen ein paar trotzige Nachzügler und schließlich ein leichter Lastwagen, in dem die Opfer von Stürzen und Unfällen hockten.
    Inzwischen saßen sie wieder am Tisch. Nicole wünschte sich,

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