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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Dick in Straßenkleidung auf einem Felsen sitzen. Erschrocken wich sie in den Schatten ihres Umkleidezeltes zurück.
    Eine Minute später stieß Baby dazu. »Dick ist ja noch da«, sagte sie.
    »Ja, ich hab ihn gesehen.«
    »Ich dachte, er wäre taktvoll genug, zu verschwinden.«
    »Nun ja, das ist sein Strand hier   – er hat ihn gewissermaßen entdeckt. Der alte Gausse sagt immer, dass er Dick alles verdankt.«
    Baby sah ihre Schwester gelassen an. »Er wäre besser bei seinen Fahrradausflügen geblieben«, sagte sie. »Und wir hätten es dabei belassen sollen. Wenn man Leute aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißt, verlieren sie leicht den Kopf, ganz egal mit wie viel charmanter Hochstapelei sie sich durchzumogeln versuchen.«
    »Dick war sechs Jahre lang ein guter Ehemann für mich«, sagte Nicole. »Ich habe keine Minute lang wegen ihm Schmerzen gelitten, und er hat sein Bestes getan, damit nichts und niemand mir wehtat.«
    Babys Unterkiefer stand etwas vor, als sie sagte: »Dafür hat man ihn ausgebildet.«
    Die beiden Schwestern saßen schweigend in der Kabine; Nicole dachte müde über alles nach; Baby fragte sich, ob |472| sie den neuesten Bewerber um ihre Hand und ihr Geld, einen echten Habsburger, tatsächlich heiraten sollte. Sie dachte aber nicht wirklich daran. Ihre Affären waren jetzt schon so lange so gleichförmig und sie war inzwischen schon so vertrocknet, dass es ihr mehr um den Gesprächsnutzen ging als um den Wert der Affären an sich. Ihre Gefühle existierten im Wesentlichen deshalb, damit sie erzählt werden konnten.
    »Ist er weg?«, fragte Nicole. »Ich glaube, sein Zug fährt so gegen Mittag.«
    Baby warf einen Blick hinaus. »Nein. Er ist jetzt nach oben auf die Terrasse gegangen und redet jetzt mit ein paar Frauen. Aber inzwischen sind so viele Leute am Strand, dass er uns nicht unbedingt sehen
muss

     
    Dick hatte sie aber durchaus gesehen, als sie den Pavillon verlassen hatten, und sie mit den Augen verfolgt, bis sie wieder verschwanden. Er saß mit Mary Minghetti auf der Terrasse und trank Anisette.
    »In der Nacht, als du uns geholfen hast, warst du fast so wie früher«, sagte sie gerade. »Außer am Ende, als du so scheußlich zu Caroline warst. Warum bist du nicht immer so nett? Du kannst es doch.«
    Es kam ihm völlig unglaublich vor, dass er plötzlich in einer Situation war, in der Mary North ihm Ratschläge gab.
    »Deine Freunde mögen dich immer noch, Dick. Aber du sagst schreckliche Dinge, wenn du betrunken bist. Ich habe dich den ganzen Sommer über verteidigen müssen.«
    »Das ist ein Klassiker von Doktor Eliot.« 1*
    »Es ist aber wahr. Es ist den Leuten egal, ob du trinkst oder nicht   –« Sie zögerte. »Aber selbst, als er am schlimmsten |473| getrunken hat, hat Abe die Leute nicht so beleidigt wie du.«
    »Ihr seid alle so langweilig«, sagte er.
    »Aber wir sind alles, was es gibt!«, sagte Mary. »Wenn du nette Leute nicht magst, kannst du es ja mal mit denen versuchen, die nicht nett sind. Dann wirst du ja sehen, ob dir das gefällt! Die Leute wollen doch nur eine schöne Zeit haben, und wenn du sie unglücklich machst, dann schneidest du dich selbst von aller menschlichen Nahrung ab.«
    »Bin ich denn ernährt worden?«
    Mary genoss das Gespräch jetzt, auch wenn sie es nicht wusste, sondern sich nur aus Angst mit ihm zusammengesetzt hatte. Erneut lehnte sie einen Drink ab und sagte: »Es fängt immer damit an, dass man sich gehen lässt. Du kannst dir sicher vorstellen, was ich seit Abe darüber denke   – seit ich gesehen habe, wie ein guter Mann allmählich zum Alkoholiker wurde   –«
    Lady Caroline Sibly-Biers kam mit demonstrativer Unbeschwertheit die Stufen heruntergetrippelt.
    Dick fühlte sich großartig   – für ihn war der Tag schon weit fortgeschritten; er befand sich bereits dort, wo man eigentlich erst nach einem guten Abendessen ankommen sollte, dennoch zeigte er nur ein schönes, zurückhaltendes, wohl abgewogenes Interesse an Mary. Seine Augen waren momentan so klar wie die eines Kindes und baten um ihr Mitgefühl. Schon spürte er, wie ihn das alte Bedürfnis beschlich, sie davon zu überzeugen, dass er der letzte Mann und sie die letzte Frau auf der Welt waren.
    – Auf diese Weise würde er die beiden anderen Gestalten nicht sehen müssen: einen Mann und eine Frau, die sich schwarz und weiß und metallisch vom Himmel abhoben.
    »Du hast mich einmal gemocht, nicht wahr?«, fragte er.
    |474| »
Gemocht?
Ich hab dich
geliebt
.

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