Zaertlich ist die Nacht
schwebten. Sie war so unendlich still.
Abe North erzählte ihr gerade von seinem Moralkodex: »Natürlich habe ich einen«, betonte er heftig. »Ein Mann kann ohne moralische Prinzipien nicht leben. Ich zum Beispiel bin gegen das Verbrennen von Hexen. Immer wenn eine Hexe verbrannt wird, wird mir ganz heiß unterm Kragen.« Rosemary wusste von Brady, dass North Komponist |57| war, der nach einem brillanten, frühreifen Start seit sieben Jahren nichts mehr komponiert hatte.
Der nächste war Campion, der seine Tuntenhaftigkeit einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte und dafür die Umsitzenden freundlich bemutterte. Dann Mary North, deren Gesicht so fröhlich war, dass es unmöglich war, nicht in den weißen Spiegel ihrer Zähne zurückzulächeln – der ganze Bereich rund um ihre geöffneten Lippen schien einen lieblichen Kreis des Entzückens zu bilden.
Schließlich Brady. Dessen Herzhaftigkeit war jetzt nicht mehr bloß eine krude Selbstbestätigung dafür, dass er seelisch gesund war, sondern wurde mit der Zeit immer geselliger. Offenbar musste er sich seiner seelischen Gesundheit jetzt nicht länger dadurch versichern, dass er sich von den Schwächen der anderen distanzierte.
Rosemary, die so gutwillig war wie ein Kind aus Mrs Burnetts 2* fatalen Traktaten, glaubte fest ans Nachhausekommen, an eine Rückkehr aus den obszönen, derben Sitten und behelfsmäßigen Lebensumständen der amerikanischen Pioniere. Glühwürmchen segelten durch die dunkle Luft und irgendwo weit unten bellte ein Hund. Wie eine mechanische Tanzbühne schien sich der Tisch ein wenig in Richtung des Himmels zu heben und vermittelte den Menschen, die sich darum versammelt hatten, jetzt das Gefühl, allein miteinander im dunklen Universum zu sein und die einzige Nahrung und Wärme darin mit den anderen zu teilen. Ein eigenartig gedämpftes Lachen von Mrs McKisco war das Signal, dass man sich von der übrigen Welt gänzlich gelöst hatte.
Dick und Nicole Diver schienen zu glühen. Sie dehnten sich aus, als ob sie ihren Gästen, die sie mit subtilen Komplimenten und Höflichkeiten vom eigenen Wert überzeugt hatten, alles ersetzen wollten, was sie vielleicht woanders |58| zurückgelassen hatten. Für einen Augenblick schienen sie mit allen am Tisch zugleich zu kommunizieren, gemeinsam und einzeln. Jedem versicherten sie ihre Freundschaft und Zuneigung, und in diesem Moment strahlten die ihnen zugewandten Gesichter wie die Gesichter von Waisenkindern unter dem Weihnachtsbaum. Dann wurde die Tafel abrupt aufgehoben – und der Augenblick, in dem sich die Gäste über die bloße Geselligkeit hinaus in die viel dünnere Luft der Gefühlswelt erhoben hatten, war vorbei, ehe ihn jemand durch eine Bemerkung hätte entweihen können, ja sogar, ehe sie ihn ganz bemerkt hatten.
Der diffuse Zauber des Südens, die samtpfotige, süße Sommernacht und die geisterhaft leise Brandung des Mittelmeers tief unter ihnen, waren jetzt mit den Divers verschmolzen. Rosemary beobachtete, wie Nicole ihrer Mutter ein gelbes Abendtäschchen aufdrängte, das sie bewundert hatte. »Ich glaube, dass die Dinge den Menschen, die sie lieben, gehören sollen«, sagte Nicole und stopfte dann alles Gelbe hinein, was sie finden konnte – einen Bleistift, ein kleines Notizbuch und einen Lippenstift, »denn sie gehören alle zusammen«.
Nicole verschwand, und bald darauf stellte Rosemary fest, dass auch Dick nicht mehr da war. Die Gäste verteilten sich im Garten oder schlenderten zur Terrasse hinauf.
»Wollen Sie«, fragte Mrs McKisco, »auf die Toilette gehen?«
Im Augenblick nicht unbedingt.
»Ich«, erklärte Mrs McKisco, »will aber schon auf die Toilette.« Als energische Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm, marschierte sie auf das Haus zu und zerrte ihre Absicht hinter sich her, während ihr Rosemary mit Missbilligung nachsah. Earl Brady machte den Vorschlag, zu |59| der Mauer über dem Meer hinunterzusteigen, aber Rosemary fand, dass sie jetzt Anspruch auf ein bisschen Zuwendung des Gastgebers hatte, wenn er denn wieder auftauchte, deshalb sagte sie Nein und hörte stattdessen zu, wie sich McKisco mit Tommy Barban stritt.
»Warum wollen Sie gegen die Sowjets kämpfen?«, fragte McKisco. »Gegen das größte Experiment in der Menschheitsgeschichte? Oder gegen die Rifkabylen 3* ? Ich finde, es wäre heroischer, auf der gerechten Seite zu kämpfen.«
»Und wie wollen Sie feststellen, welche das ist?«, fragte Barban.
»Nun ja – intelligente
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